Toben

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Ursache: Willensbildung

"Tobsuchtsanfälle" ihrer Kinder sind den meisten Eltern bestens bekannt - und häufig auch ständig gefürchtet. Leider wird die Ursache dafür aber meistens verkannt und entsprechend heikel sind denn auch die Reaktionen. Dabei wäre es einigermassen einfach, wenn Eltern den Zusammenhang zwischen dem Willen des Kindes und ihren eigenen Grenzen verstehen würden:

Kinder entwicklen ihren Willen etwa im dritten Lebensjahr. Dieser Wille ist anfangs eine ungeheure und rohe Kraft, die zudem urplötzlich und sozusagen aus dem Nichts heraus im Kind förmlich explodiert. Und wäre das nicht schon genug, geschehen solche Ausbrüche auch noch regelmässig im "ungünstigsten" Moment. Unvorbereitete Eltern werden dann prompt auf dem falschen Fuss erwischt und wissen häufig nicht mehr ein und aus: Alles Zureden, Verständnis aufbringen und ähnliches bringen nichts, ja verschlimmern alles nur noch. Auslöser können zwei verschiedene Situationen sein:

  • Ein Kind kann zu toben beginnen, wenn Sie Ihren Willen durchsetzen wollen und dabei seine Grenzen nicht respektieren, weil Sie zum Beispiel der Meinung sind, Sie müssten dem Kind helfen, obwohl es das gar nicht will (was eine Art "Zwangsbeglückung" darstellt).
  • Ein Kind kann aber auch zu toben beginne, wenn Sie dem Willen des Kindes eine Grenze entgegenhalten.

Während es sich im ersten Fall um eine Grenzüberschreitung Ihrerseits handelt, für die Sie das Kind um Verzeihung bitten sollten, geht es im zweiten Fall darum, dass Sie lernen, angemessen zu reagieren. Im folgenden geht es um diesen zweiten Fall.

Angemessene Reaktion

Eigentlich geht es bloss um eines: Dem Kind mittels einem laut und deutlich ausgesprochenen "Nein!" eine klare Grenze zu setzen und konsequent dabei zu bleiben. Wenn das Kind also zum Beispiel mitten im Laden eine Schokolade aus dem Gestell herausreisst und sie nicht mehr hergeben will, müssen Sie ihm ein klares "Nein, leg die Schokolade zurück!" entgegen halten, und zwar lieber zu laut als zu leise. Wenn das Kind an seinem frisch erwachten Willen festhält (was nur gut ist!), wird es jetzt mit grösster Wahrscheinlichkeit zu toben beginnen (von wütigem Schreien bis auf den Boden legen müssen Sie mit allem rechnen). Jetzt heisst es für Sie zuerst einmal durchatmen und ruhig bleiben: Schweigen Sie und warten Sie beim Kind so lange, bis es sich beruhigt hat. Das kann durchaus einige Minuten dauern (während denen Sie womöglich auch noch einige vorwurfsvolle Blicke und Bemerkungen der Umwelt aushalten müssen). Meistens will das Kind weder gehalten werden noch sonst einen Kontakt.

Einzig Ihre aufmerksame (!) Anwesenheit ist wichtig. Konzentrieren Sie sich auf das Kind und erinnern Sie sich, dass Sie in diesem Moment für Ihr Kind etwas vom wichtigsten überhaupt tun: Sie haben ihm eine Grenze gesetzt und stehen "trotzdem" zu ihm. Oder anders ausgedrückt: Sie vertrauen Ihrem Kind und lieben es auch in schwierigen Situationen!

Irgendwann wird das Kind aufhören zu toben und Sie werden in aller Regel staunen, dass ebenso plötzlich "alles wieder gut ist". Dem Kind ging es nämlich mit grösster Wahrscheinlichkeit weniger um die Schokolade als viel mehr darum seinen Willen auszuprobieren und sehen, wie weit es damit kommt. Und das ist auch gut so. Denn der Wille ist die entscheidende Kraft für den Menschen, überhaupt etwas zu erreichen. Bloss muss dieser Wille zuerst gewissermassen kultiviert werden, sodass das Kind auch die Grenzen und Bedürfnisse seiner Umwelt respektieren kann. Wenn sich die Wogen wieder geglättet haben, können Sie mit dem Kind immer noch besprechen, warum Sie ihm die Schokolade nicht geben wollten, meistens ist das hingegen gar nicht mehr nötig, weil es offensichtlich ausschliesslich um das Ausloten der Grenzen ging. Die sogenannte Metaebene ist hingegen tabu (und können Sie allenfalls mit dem anderen Elternteil oder einer vertrauten Person ohne die Anwesenheit des Kindes besprechen). Wichtig ist aber, dass Sie danach wieder mit Ihrem Kind versöhnt sind, das heisst insbesondere, ihm keine Vorwürfe und dergleichen machen.

Auch wenn Ihnen klar ist, wie Sie bei einem "Tobsuchtsanfall" angemessen reagieren können, dürfte es anfangs trotzdem nicht ganz einfach sein. Das macht gar nichts, denn Kinder sind ausgesprochen ausdauernd, das heisst Sie werden Ihnen immer wieder Gelegenheit zum "üben" geben: Das Kind sucht Grenzen von sich aus, Sie müssen sie ihm "bloss" setzen. Seien sich also immer wieder bewusst, dass Ihr "Nein!" dem Kind hilft und nicht etwa etwas Böses ist!

Wirklich "Nein!" sagen können Sie allerdings nur, wenn Sie zuvor schon wirklich "Ja" sagen konnten. Diese Basis müssen Sie in den beiden ersten Jahren, also der Phase der Vertrauensbildung, gelegt haben. Denn wenn Sie kein genügendes Vertrauensverhältnis zu Ihrem Kind haben, fürchten Sie bei einem "Nein" regelmässig einen Liebesentzug. Oder anders gesagt: Sie müssen nun die beiden Grundprinzipien der Erziehung, also Vertrauen und Grenzen, gleichzeitig lernen, was die Sache natürlich noch etwas schwieriger - aber nich unmöglich! - macht.

Kontraproduktive Reaktionen

Auf Tobsuchtsanfälle gibt es leider eine ganze Reihe von ausgesprochen kontraproduktiven Reaktionsmöglichkeiten:

  • Zurückschreien: Wenn Sie das tobende Kind einfach anschreien, wird es erst recht noch mehr toben, das heisst es entsteht ein eigentlicher Teufelskreis. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, was Sie ihm sagen: das Kind wird es nicht hören, geschweige denn verstehen! Ihre Reaktion müsste aber zunächst schweigen heissen.
  • Verspotten oder Verachten: Wenn Sie die Situation einfach lächerlich finden, nehmen Sie das Kind nicht ernst. Spott und Verachtung ist aber das Gegenteil von dem, was angezeigt ist: Ihr Kind braucht in dieser Situation Ihre Wertschätzung, denn es entwickelt gerade eine der wichtigsten Fähigkeiten für sein Leben, nämlich seinen Willen.
  • Vorwürfe: Vorwürfe nach dem Muster "Spinnst Du eigentlich, mitten im Laden ein solches Theater zu veranstalten?" bringen schon deshalb nichts, weil sie das Kind gar nicht hören kann (immerhin wird es dadurch vor Ihrer Geringschätzung verschont). Vor allem aber reagiert das Kind ausgesprochen gesund: es wird ganz einfach wütend, weil es seinen (frisch entdeckten!) Willen nicht ausleben kann. Gesundes Verhalten dürfen Sie aber dem Kind nicht vorwerfen. Vielmehr sollten Sie wissen, um was es wirklich geht und zu Ihrem Kind stehen. Das heisst bei ihm bleiben und warten, bis es ich ausgetobt hat.
  • Festhalten: Ein tobendes Kind kann nicht etwa dadurch beruhigt werden, dass Sie es festhalten. Ganz im Gegenteil: es will nicht angefasst werden und reagiert nur noch mit mehr Wut. Natürlich können Sie es gegen seinen Willen festhalten, jedenfalls solange Sie ihm körperlich noch überlegen sind. Allerdings ist das dann doch schon eine recht massive Grenzüberschreitung Ihrerseits. Und das Kind wird womöglich den fatalen Entschluss fassen, Ihnen diese Verletzung irgendwann zurückzubezahlen. Was dabei noch schlimmer ist: Sie haben versucht seinen Willen zu brechen. Wenn Sie das genügend oft wiederholen, zerstören Sie ihm etwas vom Wetvollsten überhaupt für sein Leben!
  • Wegsperren: Wütend schreiende Kinder sind schwer auszuhalten. Trotzdem sollten Sie nicht etwa in Versuchung kommen, ein tobendes Kind einfach in sein Zimmer zu sperren. Denn in dieser Situation hat das Kind seine Eltern dringend nötig! Es braucht Ihre Anwesenheit, damit es erfährt, dass es auch in dieser Situation von Ihnen geliebt wird. Wenn Sie es wegsperren, ist das nichts anderes als ein krasser Liebesentzug. Sie haben ihm damit nur vermeintlich eine Grenze gesetzt, denn gleichzeitig haben Sie es verlassen (was für ein Kind immer noch die schlimmste Strafe überhaupt ist!). Eine echte Grenze ist aber nicht nur trennend, sondern gleichzeitig verbindend. Das heisst Sie müssen beim Kind ausharren, bis es sich ausgetobt hat.
  • Ignorieren: Nicht viel anders verhält es sich, wenn Sie versuchen, einfach so zu tun, als wäre nichts. Denn es ist etwas, und zwar etwas ganz Bedeutendes: Ihr Kind ist gerade daran, seinen frisch entdeckten Willen auszuprobieren! Und das ist mindestens so bedeutend und wertvoll, wie wenn das Kind gerade hat laufen gelernt! Beachtung sollte also selbstverständlich sein.
  • Nachgeben: Die auf den ersten Blick einfachste Variante ist natürlich, wenn Sie dem Kind die Schokolade einfach lassen (obwohl Sie eigentlich der Meinung sind, dass es diese nicht behalten soll). Das mag zwar bequem sein, doch ist es ausgesprochen heikel, denn Sie verschieben das Problem nur auf die nächste Situation (zum Beispiel wird das Kind die Schokolade gleich wieder liegeblassen und sich das nächste "Opfer" aussuchen). Sie müssen sich deshalb unbedingt frühzeitig darüber Gedanken machen, was Sie selbst wollen und sollten dann möglichst die "erstbeste Chance" nutzen und lernen, dem Kind eine Grenze zu setzen. Denn Sie werden nicht darum herumkommen und können diese Aufgabe auch nicht etwa delegieren (indem Sie zum Beispiel denken, dass dem Kind dann in der Schule schon gesagt würde, was es zu tun oder lassen habe). Die Verantwortung dafür liegt ausschliesslich bei Ihnen, ansonsten Sie keine echte Beziehung zu Ihrem Kind aufbauen können!
  • Machtspiele: Häufig nehmen Eltern tobende Kinder als böse wahr und kommen in Versuchung, sich an ihnen gewissermassen rächen zu wollen (ob bewusst oder unbewusst). Sie denken, dass das Kind ihnen aus irgendeinem Grund übel will. Zum Beispiel kommen sie auf die Idee, dem Kind zwar die Schokolade zu lassen, aber ihm zu drohen, dass es dafür dann nichts zum Nachtessen gäbe. Strafen machen in der Erziehung aber an sich schon keinen Sinn. Verschärfend kommt hier aber hier noch dazu, dass die Strafe dem Kind für eine an sich positive Entwicklung (nämlich die Willensbildung) angedroht wird. Und wenn es dann noch bloss bei der Drohung bleibt, weil Sie am Abend schon wieder zurückgekrebst sind, haben Sie das Kind gewissermassen auch noch enttäuscht und damit sein Vertrauen komplett verloren. Dabei handelt es sich bloss um ein Missverständnis, denn das Kind in diesem Alter ist erstens noch gar nicht zu böser Absicht fähig und ist zweitens bloss daran, seinen Willen zu entwickeln. Dieser Wille ist allerdings noch derart ungestüm, dass das Kind mit ihm anfangs schlicht überwältigt ist. Es braucht deshalb Grenzen, die es von seinen Eltern erhalten muss. Nur so kann es seinen Willen nach und nach kultivieren und sinnvoll einsetzen. Machtspiele hingegen sind jeder Beziehung abträglich, ganz besonders aber während der so wichtigen Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind.
  • "Psychologisieren": Eine weitere Versuchung ist schliesslich, dem Kind sein Verhalten psychologisch erklären zu wollen, zum Beispiel "Jetzt machst Du mir wieder eine Szene!" Abgesehen davon, dass solche "Analysen" meistens unsinnig und falsch sind, sind sie für das Kind schlicht eine Überforderung. Denn Kinder sind in der Regel frühestens ab der Pubertät überhaupt fähig, über ihr eigenes Verhalten zu reflektieren. Beim Kind kommen solche Aussagen wie Urteile an, gegen die es sich nicht wehren kann, weil es sie gar nicht versteht. Zudem sind in solchen Situationen überhaupt keine Erklärungen oder gar Vorwürfe angebracht, sondern ausschliesslich schweigen und warten.

Alle diese Reaktionen führen dazu, dass das Kind nie wirklich Grenzen erfährt und deshalb auch nicht lernen kann, seinen Willen sinnvoll einzusetzen, das heisst zu seinem eigenen Nutzen und die Grenzen seiner Umwelt respektierend. Die Gefahr dabei ist, dass es zum Störenfried (oder umgekehrt zum Duckmäuser) wird, jedenfalls wird es verhaltensauffällig. Handelt es sich dann noch um ein Kind, das schon von seiner Veranlagung her eigentlich mehr Grenzen und Strukturen als andere brauchen würde, ist die Gefahr gross, dass ihm ein Aufmerksamkeitsdefizit oder Hyperaktivität "angehängt " wird, obwohl eigentlich Erziehungsfehler der Eltern Ursache für sein Verhalten sind.

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

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