Missverständnisse
In der Erziehungsarbeit gibt es einige Missverständnisse, man könnte auch von "Erziehungsfallen" sprechen, denn meistens geschehen sie mangels Kenntnis und in bester Absicht.
Beispiele
Kinder müssen lernen
Nein, Kinder dürfen lernen - und sie tun es von selbst, jedenfalls wenn es die Eltern zulassen. Wirklich lernen müssen hingegen die Eltern, vor allem in den beiden ersten Jahren dem Kind bzw. dessen Grundbedürfnissen und Fähigkeiten zu vertrauen und später, wenn sich ab etwa dem dritten Lebensjahr der Wille des Kindes entwickelt, dem Kind Grenzen zu setzen. Vor allem in den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung sollten Sie das Kind immer das lernen lassen, wozu es Lust hat. So behält es seine natürliche Lernfreude und wird später in der Schule, wo es auch Dinge lernen muss, die seinen individuellen Bedürfnissen weniger entsprechen, genügend Frustrationstoleranz haben. Lernen dürfen bedeutet auch, dass Sie das Kind von Anfang an seine eigenen Erfahrungen machen lassen, auch wenn es sich dabei ab und zu weh tut. Denn die weitaus meisten Gefahren sind blosse Bagatellgefahren, also solche, die zu keinen ernsthaften Verletzungen führen können, aber enorm wichtig sind, um das Kind erfahren zu lassen, tatsächliche Gefahren zu erkennen!
Kinder müssen gefördert werden
Nein, Kinder können nahezu alles von alleine lernen! Als Eltern müssen Sie einzig darauf achten, dass Sie das Kind nicht an seiner Entwicklung behindern, indem Sie ihm zum Beispiel dauernd nachhelfen, es unnötig vor Gefahren schützen wollen oder es immer wieder in seiner Konzentration stören. So belassen Sie ihm seine natürliche Lernfreude und es wird auch in der Schule weniger Mühe mit möglicherweise unpassenden Lehrplänen haben. Vergessen Sie auch angeblich "didaktisch besonders wertvolles" Spielzeug: am besten lernen Kinder in der freien Natur, wo sie ihre Phantasie ausleben können.
Kinder müssen den Eltern vertrauen lernen
Nein, Kinder vertrauen ihren Eltern schon von Geburt an. Hingegen müssen die meisten Eltern erst lernen, ihren Kindern, beziehungsweise deren Grundbedürfnissen und Fähigkeiten zu vertrauen. Daraus kann das Kind das fundamentale Selbstvertrauen gewinnen.
Grenzen trennen
Ja, aber Grenzen verbinden auch! Viele Eltern haben Angst, klare Grenzen zu setzen, weil sie befürchten, das Kind könnte es ihnen übel nehmen und sie ablehnen, also eigentlich aus Angst vor Liebesentzug. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Stellen Sie sich bloss einmal zwei Länder ohne Grenze dazwischen vor. Entweder handelt es sich um weit entfernte Länder oder die beiden Länder haben sich gewissermassen vermischt, sodass es keine Grenze gibt. Gibt es aber eine Grenze, so berühren sich die beiden Länder genau dort. Entsprechendes gilt auch für jede Beziehung unter Menschen, also insbesondere in der Erziehung: Eine Berührung ist nur möglich, wenn es eine klar definierte Grenze gibt.
Kinder müssen lernen zu gehorchen
Nein, das Ziel der Erziehung sollte Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit sein, nicht Gehorsam. Eltern müssen deshalb lernen, einerseits Grenzen zu setzen, andererseits aber auch die Grenzen des Kindes zu respektieren. So kann das Kind seinen Willen kultivieren und Respekt für seine Mitmenschen und seine Umwelt entwickeln. Das beste Mittel dazu sind Regeln, die Sie mit dem Kind vereinbaren. Die Verantwortung dazu liegt bei Ihnen, Sie können also nicht etwa erwarten, dass das Kind von sich aus Grenzen kennen soll, denn es kommt zunächst einmal ohne zur Welt!
Der Wille des Kindes muss gebrochen werden
Es ist eines der grössten, vor allem aber eines der fatalsten, Missverständnisse in der Erziehung, dass der Wille des Kindes gebrochen werden müsste. Ein freier Wille ist nebst einem gesunden Selbstvertrauen die wichtigste Kraft des Menschen überhaupt. Damit aus dem ursprünglich rohen und kompromisslosen Willen des Kindes aber ein möglichst freier Wille wird, muss dieser gewissermassen kultiviert werden. Dazu braucht das Kind Herausforderungen und Grenzen. Der kindliche Wille darf und soll mit Ihren Absichten zusammenstossen, denn als Eltern Sie sind eine Art Sparringspartner. Nur wenn das Kind Ihren Widerstand spürt, kann es lernen, mit dieser so wertvollen Kraft sinnvoll und respektvoll umzugehen. Die Zeit der Willensbildung, die in der Regel etwa im dritten Lebensjahr beginnt, kann für Eltern eine grosse Herausforderung sein, ist aber für die Entwicklung des Kindes von enormer Bedeutung. Sie sollten deshalb gut darauf vorbereitet sein, denn Konfrontationen sind unausweichlich und Sie müssen insbesondere bereit sein zu lernen, angemessen auf allfälliges Toben zu reagieren. Denn wenn Eltern einfach mit Gewalt versuchen, den Willen zu des Kindes zu brechen, können die Folgen für das Leben des Kindes äusserst fatal sein!
Wünsche und Verwöhnen
Ein häufiges Missverständnis entsteht, wenn es darum geht, ob und wie Kinder verwöhnt werden sollen oder nicht. Dabei gilt es zwischen dem "Wann" und dem "Was" unterschieden werden:
- In der Phase der Vertrauensbildung, also in den etwa zwei ersten Jahren, soll dem Kind immer möglichst alles und möglichst sofort gegeben werden, was es verlangt. Denn das Kind kennt in dieser Phase von sich aus bloss Grundbedürfnisse! Die Eltern müssen deshalb zuerst lernen, welches diese wirklichen Grundbedürfnisse sind und dann dem Kind vertrauen, dass ihm immer etwas Grundlegendes fehlt, wenn es zum Beispiel schreit. In diesem Sinne darf und soll das Kind tatsächlich grenzenlos verwöhnt werden, die einzige Grenze besteht in Ihren eigenen Kapazitäten (weil Sie es zum Beispiel nicht mehr tragen mögen).
- Erst in der Phase der Willensbildung, die in der Regel etwa dem dritten Lebensjahr beginnt, entwickelt das Kind Wünsche und Forderungen, die weit über seine Grundbedürfnisse hinaus gehen können. Dann müssen die Eltern lernen, dem Kind angemessen Grenzen zu setzen. Das bedeutet, dass Sie vom Kind auch etwas fordern, wenn es Wünsche anmeldet, indem Sie zum Beispiel auf die Einhaltung von Regeln pochen, wenn es mit Ihnen raufen will. Wenn Sie in dieser Phase zu viel geben und zu wenig fordern, wird das Kind in einem negativen Sinne verwöhnt, was sich regelmässig ausgesprochen kontraproduktiv auswirken wird. Denn in dieser Phase braucht es für seine gesunde Entwicklung besonders viel Herausforderungen.
Kinder dürfen also sehr wohl verwöhnt werden, allerdings nur mit dem, was sie auch wirklich brauchen, also Vertrauen, oder eben Grenzen ab der Phase der Willensbildung. Dabei geht es vor allem darum, zwischen Grundbedürfnissen und Wünschen zu unterscheiden lernen.
Kinder haben wenig Geduld und wenig Ausdauer
Nein, so ausdauernd und geduldig wie Kinder sein können, werden Sie es als Erwachsene kaum mehr je sein. Allerdings liegt es in der Verantwortung der Eltern, dass diese Eigenschaften dem Kind erhalten bleiben. Denn die wichtigste Voraussetzung dafür, das ein Kind Geduld entwickeln kann, ist, dass seine Grundbedürfnisse in der Phase der Vertrauensbildung möglichst immer und sofort gestillt wurden. Und Ausdauer bringt das Kind zwar schon von Geburt an mit, doch muss diese vor allem in der Phase der Willensbildung auch gefordert werden, ansonsten diese Kraft tatsächlich verkümmern kann.
Hierarchie und partnerschaftliche Erziehung
Unter einer partnerschaftlichen Erziehung wird in der Regel verstanden, dass Eltern ihren Kindern gewissermassen gleichberechtigt und auf Augenhöhe begegnen. Das ist durchaus eine sinnvolle Absicht und hat viel mit gesundem Respekt zu tun. Dabei sollte aber nicht vergessen gehen, dass in der Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind eine Hierarchie besteht, da für die Erziehung einzig die Eltern verantwortlich sind, und nicht etwa das Kind. Schon allein deshalb kann nicht von einer Partnerschaft gesprochen werden, beziehungsweise ist der Ausdruck zumindest missverständlich. Erst wenn das Kind gelernt hat, für sein Tun und Lassen Verantwortung zu übernehmen, kann auch die Beziehung mehr und mehr zu einer Art Partnerschaft werden. Dazu gehören zum Beispiel Vereinbarungen, also Regeln, die Sie zusammen mit dem Kind finden. Die Verantwortung für die Vereinbarung bleibt aber bei Ihnen. Das heisst, es liegt an Ihnen sich zu vergewissern, ob das Kind mit der Vereinbarung wirklich einverstanden ist und Sie sind es, die prüfen müssen, ob es sich an die Vereinbarung hält und es allenfalls daran erinnern.
Vom Moment an, da Sie mit dem Kind Vereinbarungen aushandeln können, die es von sich aus einhält, macht auch die Idee der Partnerschaft Sinn. Allerdings ist dann das Kind offensichtlich schon so reif, dass es eigentlich gar nicht mehr um Erziehung im engeren Sinn geht, sondern sich die Arbeit der Eltern mehr und auf eine Art Begleitung beschränken kann. Dieses Ziel sollte gemäss dem "Zweimalzwei der Erziehung" nach etwa vier Jahren erreicht sein.
Erziehung ist eine Wissenschaft
Wenn es um die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Erziehung geht, spricht man von Pädagogik. Für die praktische Erziehungsarbeit genügt aber grundsätzlich ein "gesunder Menschenverstand" völlig. Und dieser ist zunächst einmal unabhängig von Wissen und Intelligenz! Wenn Sie schon nur die beiden Grundprinzipien der Erziehung verstanden haben, können Sie durch eigene Erfahrung und Lernbereitschaft grundsätzlich alles andere selbst erlernen.
Gefühle und Emotionen
Das "Zweimalzwei der Erziehung" unterscheidet zwischen Gefühlen und Emotionen: Emotionen sind der für Dritte sichtbare, körperliche Ausdruck von Gefühlen, während die Gefühle selbst nur vom Menschen selbst wahrgenommen werden können. So könne zum Beispiel Tränen (Emotion) Ausdruck von Trauer oder Freude (Gefühle) sein, oder Gesichtsröte (Emotion) kann Ausdruck von Wut (Gefühl) oder schlich die Folge von körperlicher Anstrengung sein. Entscheidend ist, dass Menschen grundsätzlich immer nur die Emotionen von anderen Menschen wahrnehmen können, nicht jedoch deren Gefühle! Als Eltern bedeutet das, dass Sie sich immer versichern sollten, um was es beim Kind wirklich geht, und zwar indem Sie es fragen! Wohl stehen Sie ihm am nächsten und werden daher mit dem vermuteten Gefühl häufig oder sogar meistens richtig liegen, doch eben nicht immer. Wenn Sie das Kind fragen, statt einfach eine Annahme zu treffen, zeigen Sie ihm, dass Sie an seinem Empfinden wirklich interessiert sind und ihm nicht einfach Ihr Urteil überstülpen wollen.
Im Weiteren sollten Sie auch noch Gefühle und Ersatzgefühle unterscheiden. Während es von Natur aus bloss vier, gewissermassen reine, Grundgefühle (Freude, Wut, Angst und Trauer) gibt, entwickelt der Mensch eine Unzahl an Ersatzgefühlen, die vor allem während den beiden ersten Phasen der Erziehung entstehen, vornehmlich durch Erziehungsfehler der Eltern.
Gefühle, Mitgefühl und Mitleid
Gerade weil Sie dem Kind so nahe stehen, sollten Sie Ihre eigenen Gefühle von denen des Kindes auseinanderhalten. Denn Mitgefühl bedeutet nicht etwa, dass Sie das selbe fühlen (oder fühlen sollen) wie das Kind, sondern dass Sie Ihre eigenen (!) Gefühle wahrnehmen können, auch wenn das Kind zum Beispiel vor Trauer schreit. Dem leidenden Kind ist nicht geholfen, wenn Sie einfach mit ihm mitzuleiden beginnen! Es braucht in solchen Momenten vielmehr eine gewisse Gelassenheit von Ihrer Seite, sodass Sie es trösten können.
Die Eltern wissen am besten, was für ihr Kind gut ist
Nein, sie wissen es höchstens am zweitbesten, das Kind selbst weiss es immer besser! Bestimmt ist niemand dem Kind so nah, wie seine (leiblichen) Eltern. Trotzdem sollten Sie vorsichtig sein, wenn Sie meinen, Sie wüssten besser, wann das Kind zum Beispiel müde oder hungrig ist, dem Kind aber ganz anders zumute ist. Vertrauen Sie deshalb immer zuerst den Äusserungen des Kindes. Es ist zum Beispiel sehr wohl möglich oder gar sinnvoll, dass ein Kind gelegentlich mangels Hunger eine Mahlzeit auslässt, oder mitten im Winter in kurzen Hosen spielen kann, ohne deswegen gleich krank zu werden. Einzige Ausnahme von dieser Regel sind natürlich wirkliche (!) Gefahren, von denen es aber sehr viel weniger gibt, als die meisten Eltern denken. Bedenken Sie immer, dass jedes Kind mit einer eigenen Persönlichkeit zur Welt kommt, die Sie nicht einfach zwangsläufig verstehen, sondern die Sie zuerst kennenlernen müssen, um sie einigermassen erfassen zu können. Wenn Sie sich dem schon von Anfang an bewusst sind, werden Sie später auch nicht in Versuchung kommen, dem Kind seine Freizeitaktivitäten oder gar die Berufswahl diktieren zu wollen.
Schliesslich machen viele Eltern umgekehrt die Erfahrung, dass es gerade ihre eigenen Kinder sind, die sie am besten verstehen! Das hat wohl vor allem damit zu tun, dass, obwohl ja die gleiche Nähe besteht, Kinder jedoch sehr viel offener in ihrer Wahrnehmung sind, also weniger von Vorstellungen und Erwartungen geblendet. Sie könnten denn auch sehr viel Nützliches und Wertvolles von Ihren Kindern erfahren, wenn Sie offen dafür sind!
Die Mutter ist wichtiger als der Vater
Nein, beide sind gleich wichtig, aber die Mutter kommt zuerst! Das ist schon rein biologisch so: Schwanger ist die Mutter und sie ist es, die das Kind zur Welt bringt und stillt. Aber sie braucht die Unterstützung des Vaters, sodass dieser zumindest indirekt ebenso wichtig werden kann, so er denn bereit dazu ist. Die beiden Grundprinzipien der Erziehung können denn auch archetypisch der Mutter beziehungsweise dem Vater zugeordnet werden: Während das Vertrauen des Kindes anfangs noch weitgehend durch die Mutter bestätigt werden muss, indem seine Grundbedürfnisse, insbesondere nach Gestillt werden befriedigt werden, liegt es in der Phase der Willensbildung zunächst und vor allem am Vater, das Kind auch zu fordern und ihm Grenzen setzen.
Allerdings kann nicht genügend betont werden, dass es eben bloss eine archetypische Zuordnung ist. Denn so wie die Mutter lernen muss, nicht nur dem Kind und seinen Fähigkeiten zu vertrauen, sondern auch lernen muss, dem Kind Grenzen zu setzen, so muss auch der Vater nicht nur lernen, dem Willen des Kindes Widerstand zu leisten, sondern er muss zuvor auch gelernt haben, den Grundbedürfnisse des Kindes zu vertrauen (und auch wenn er das Kind nicht stillen kann, so kann er doch der Mutter den nötigen Raum und die nötige Zeit beschaffen).
Langweiliger Alltag
Die westliche Zivilisation mit all ihren Erleichterungen für das tägliche Leben hat auch mit sich gebracht, dass der Alltag vieler Menschen als langweilig erscheint. So müssen sich die allermeisten Menschen keinerlei Sorgen mehr machen, wie sie zu Lebensmittel kommen: sie gehen einfach in den nächsten Laden und kaufen ein, ohne jegliche Mühe, die in früheren Zeiten für das Ansäen, Pflegen und Ernten nötig war. Auch die Wohnungen müssen nicht mehr selbst gebaut werden, sondern können einfach ausgesucht und gemietet werden, ganz abgesehen von all den praktischen Haushaltgeräten. Das mag uns alles als selbstverständlich und komfortabel erscheinen, doch kann die Kehrseite eben auch die sein, dass weder Eltern noch Kinder wirkliche Herausforderungen mehr erleben.
Als Eltern tun Sie deshalb gut daran, Ihre Zeit wieder für ursprünglichere Bedürfnisse einzusetzen. Insbesondere die Mahlzeiten bieten dazu viele Möglichkeiten, indem Sie zum Beispiel Gemüse oder Obst selbst anbauen oder doch wenigstens eingekaufte Lebensmittel selbst verarbeiten. Kinder lieben es, wenn sie beim Konfitüre machen "helfen" dürfen oder gar selbst die Blätter vom Basilikum auf dem Balkon pflücken dürfen. Und plötzlich werden Sie feststellen, dass gerade der Alltag mit Kindern höchst spannend sein kann. Vielleicht beginnen Sie auch Ihr Fahrrad wieder selbst zu reparieren, während das Kind Ihnen die nötigen Werkzeuge reichen darf. Verzichten Sie auf Einkäufe mit dem Auto und gehen Sie stattdessen zu Fuss im Quartier einkaufen. Das ist für Sie und das Kind weniger stressig und ermöglicht erst noch mehr Begegnungen mit Nachbarn (und ganz nebenbei tun Sie auch noch etwas für die Umwelt). Je mehr Sie die Kinder schon während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung in Ihren Alltag miteinbeziehen, desto mehr werden sie später zudem bereit sein, Ihnen im Haushalt mitzuhelfen, durften sie doch das gegenseitige Helfen als etwas Positives erleben!
Schliesslich sollten Sie auch bedenken, dass der Alltag für Kinder auch Regelmässigkeit bedeutet, die ihnen wiederum Sicherheit vermittelt in den geregelten Lauf der Dinge und überhaupt in das Leben. Wiederholungen mögen für Eltern mühsam erscheinen, Kinder sind aber gerade in den ersten Jahren, während denen sie enorm viel lernen, darauf angewiesen.
Antiautoritäre und liberale Erziehung
Das Konzept der antiautoritären Erziehung ist zunächst als Reaktion auf einen autoritativen Erziehungsstil entstanden, der in früheren Zeiten vor allem auf Zwang beruhte. Dass Kinder nicht wie Tiere dressiert werden sollen, dürfte heute unbestritten sein. Der Verzicht auf autoritative Erziehungsmittel (wie Strafen oder "Zuckerbrot und Peitsche") bedeutet aber nicht, dass Kinder keine Grenzen benötigen. Denn vom Moment an, da ein Kind seinen Willen zu entwickeln beginnt, braucht es das "Nein!" genauso, wie es zuvor das bedingungslose "Ja" brauchte. Liberal im Sinne des "Zweimalzwei der Erziehung" bedeutet, dass das Kind am Ende der Erziehung mit seiner Freiheit verantwortungsvoll umgehen kann. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn der Wille des Kindes zu einem möglichst freien Willen kultiviert wird. Dazu braucht es erstens Herausforderungen und Grenzen und muss ihm zweitens die Verantwortung für sein Tun und Lassen überlassen werden. Für diese Erziehungsarbeit sind die Eltern allein verantwortlich, sie kann also nicht einfach dem Kind überlassen werden. In diesem Sinne besteht denn auch eine Hierarchie, was aber wiederum nicht mit Autorität verwechselt werden darf.
"Ja" sagen ist einfacher
Eltern, die Mühe haben "Nein!" zu sagen, denken häufig, dass "Ja" einfacher wäre. Dem ist aber nur vermeintlich so. Denn die beiden Prinzipien bedingen einander: Wer nicht "Nein!" sagen kann, kann auch nicht wirklich "Ja" sagen und umgekehrt! Denn es geht vor allem um eine klare Haltung: Entweder oder. Das ist für Kinder zumindest in den ersten, entscheidenden Phasen der Erziehung besonders wichtig, da sie mit Zwischentönen, Bedingungen, Relativierungen und ähnlichem noch überfordert sind.
"Nein!" sagen ist hart
Viele Eltern trauen sich kaum, ihren "ach so niedlichen, kleinen Süssen" "Nein!" zu sagen, weil sie dies als eine Art Abwehr, ja gar Liebesentzug, fürchten. Dabei ist es das genaue Gegenteil: Wenn Sie dem Willen des Kindes eine Grenze setzen, schaffen Sie gerade dadurch Kontakt. Denn wenn ein Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel ab etwa dem dritten Lebensjahr, muss es auch Widerstand spüren, ansonsten es den Halt verliert. Überwinden Sie sich also anfangs lieber zu etwas mehr Härte als dass Sie dauernd nachgeben, weil Sie eine Konfrontation befürchten. Es kann gut sein, dass das Kind beim ersten Mal erschrickt, das macht aber gar nichts! Wichtig ist einzig, dass Sie wortwörtlich zu sich und ihrem Kind stehen, also sich nicht von ihm abwenden. Das gilt gerade auch dann, wenn das Kind zu toben beginnt.
Wirklich hart für das Kind ist, wenn es von den Eltern keine Grenzen erhält. Dann wird es nämlich erstens seinen Willen nicht kultivieren können, also keinen freien Willen entwickeln können, und zweitens läuft es dauernd Gefahr, mit seinem Willen anzuecken oder sich in seinem Übermut gar selbst in Gefahr zu bringen.
"Jein" ist ein guter Kompromiss
Nein, das ist weder Fisch noch Vogel, denn damit werden die beiden Grundprinzipien der Erziehung vermischt! Kinder brauchen aber, zumindest während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung Klartext. Als Eltern müssen Sie die Verantwortung übernehmen und entweder "Ja" oder "Nein!" sagen. Wenn Sie unsicher sind, folgen Sie am besten Ihrem ersten Impuls oder bedingen sich Zeit aus, um in Ruhe Ihre Meinung zu machen. Kinder können durchaus damit umgehen, dass ihre Eltern etwas nicht wissen oder momentan nicht beantworten können. Mit Wankelmut hingegen haben sie grosse Mühe. Denn das Kind vertraut Ihnen und will sein Vertrauen bestätigt sehen, in dem Sie ihm klare, verlässliche Antworten geben und dabei bleiben.
Bedenken Sie, dass schon Worte wie "Wenn" und "Aber" für ein Kind in den ersten Jahren kaum verständlich sind, da es durch Bedingungen und Relativierungen überfordert ist. Die Welt ist für ein Kind anfangs noch "gut" oder "schlecht", "hell" oder "dunkel". Und sie findet im Hier und Jetzt statt, nicht gestern und schon gar nicht erst morgen. Um all die Schattierungen dazwischen verstehen zu können, muss es zunächst einmal die Extrempositionen verstanden haben. Erst wenn das Kind genügend reif ist, kann es auch mit Zwischentönen umgehen. Diese Reife können Sie aber nicht einfach vom Kind fordern. Es liegt vielmehr an Ihnen zu lernen, dem Kind entweder "Ja" oder "Nein!" zu sagen. Dieses Wechselspiel zwischen "Ja" und "Nein!" entspricht den beiden Grundprinzipien, die Sie klar auseinanderhalten müssen. Das Gute daran ist, dass Sie zunächst etwa zwei Jahre Zeit haben, um das bedingungslose "Ja" sagen zu lernen und danach, das heisst, wenn das Kind in der Regel etwa im dritten Lebensjahr beginnt seinen Willen zu entwickeln, auch "Nein!" sagen zu lernen.
Konsequenzen und Strafen
Erziehung nach dem "Zweimalzwei der Erziehung" kommt ganz ohne Zwang oder gar Strafen aus, da diese sich ausgesprochen kontraproduktiv auswirken, und zwar gerade auch dann, wenn sie "bloss" angedroht werden. Kinder sollten vielmehr erfahren dürfen, was die Konsequenzen ihres Tuns und Lassens sind. Wenn Sie zum Beispiel mit dem Kind vereinbart haben, dass es vor dem Nachtessen seine Spielsachen aufräumt, müssen Sie zunächst einmal selbst konsequent bleiben und darauf beharren. Lassen Sie dann aber das Kind wählen, ob es aufräumt und zum Nachtessen kommt oder ob es nicht aufräumt und dafür auf das Nachtessen verzichtet (es wird deshalb nicht gleich verhungern). Wenn das Kind selbst entscheiden kann, wird es automatisch auch die Verantwortung übernehmen, also die Konsequenzen seines Tuns und Lassen tragen, ohne dass es irgendwelche Drohungen oder Strafen brauchen würde!
Erziehen und Dressieren
(Text folgt) Dressieren
Verständnis und Toleranz
Eltern sollten über ein gewisses Verständnis der nötigen Erziehungskompetenzen verfügen, insbesondere die beiden Grundprinzipien der Erziehung verstanden haben. Dieses Verständnis ist aber etwas anderes, als einfach alles tolerieren, was Kindern so einfällt. Es geht vielmehr darum, dass Sie verstehen lernen, was das Kind in welchen Phasen der Erziehung von Ihnen braucht: Während es in der ersten Phase von Ihnen Vertrauen in seine Grundbedürfnisse und Fähigkeiten braucht, benötigt es in der zweiten Phase zusätzlich Herausforderungen und Grenzen. Und nach etwa vier Jahren sollten Sie so weit sein, dass Sie spielend zwischen den beiden Prinzipien wechseln können, ganz ähnlich wie Sie beim Autofahren zwischen Gas und Bremse wechseln und einen Gang höher oder tiefer schalten. Verständnis ist also etwas anderes als Toleranz. Toleranz bedeutet, dass Sie als Eltern ein gewisses Mass an Unruhe und Lärm, verschmutzen oder kaputten Möbeln und ähnliches in Kauf nehmen müssen. Das Mass allerdings müssen Sie schon selbst bestimmen, das heisst, es liegt in Ihrer Verantwortung dem Kind Grenzen zu setzen, Sie können nicht einfach vom Kind erwarten, dass es diese von sich aus erkennen würde!
Anstand und Respekt
Kinder brauchen zwar den Respekt ihrer Eltern, vor allem aber Klartext, wenn sie lernen sollen, welche Regeln gelten. Höfliche Aufforderungen mit ihren typischen Verunklärungen sind deshalb wenig förderlich, weil sie von Kindern zumindest in den ersten Jahren noch kaum verstanden werden und sie deshalb überfordern.
Gerade in der Phase der Willensbildung ist von Eltern denn eher ein Befehlston denn ein Bitten oder gar Fragen gefordert ("Stell die Schuhe neben die Türe", und nicht etwa "Würdest Du bitteschön die Schuhe dorthin stellen, wo ich es gern hätte?"). Wenn Sie von Anfang an konsequent fordern, werden Sie staunen, dass Sie in Ihrem Tonfall schon bald wieder eine Stufe "runterfahren" können. Umgekehrt hingegen, das heisst, wenn Sie anfangs zu "weich" fordern, werden Sie sich ewig lange wiederholen müssen und am Ende womöglich noch das Kind anschreien, weil Sie irgendwann dann doch die Geduld verlieren. Oder Sie kapitulieren und verräumen die Schuhe einfach selbst. Solche Mechanismen versteht das Kind äusserst schnell und wird sich schon bald daran gewöhnen, dass es einfach genügend lange warten muss, bis Sie mit Bitten und Fragen aufgehört haben. Wenn dem Kind dann auch noch Vorwürfe gemacht werden, zum Beispiel, dass es manipulativ sei, ist der Teufelskreis perfekt. Denn das Fehlverhalten liegt gerade nicht beim Kind, sondern bei den Eltern.
Elterlicher Respekt in der Erziehung heisst nicht, dass Sie sich dem Kind gegenüber einfach höflich und anständig, sondern seiner Entwicklung entsprechend ausdrücken sollen. Zumindest während den ersten Jahren also in einfachen und klaren Worten, sodass das Kind Sie verstehen kann. Sie werden vielleicht Ihre allfällige Zurückhaltung überwinden und dafür eher mal laut und deutlich werden müssen. Formulieren Sie Ihre Aufforderungen an das Kind immer in der Befehlsform und nicht etwa als Wünsche, Fragen oder Bitten!
Brav sein
Als "brav" werden in der Regel Kinder bezeichnet, die sich ruhig, artig und gehorsam verhalten, da sie die Erwachsenen so am wenigsten stören und sich diese auch noch am süssen Lächeln der Kinder ergötzen können. Das kann allerdings nicht das Ziel einer Erziehung zu Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit sein, wie es das "Zweimalzwei der Erziehung" beschreibt. Zumindest in den ersten, entscheidenden Jahren kann von einem Kind nicht gefordert werden, dass es einfach immer schön ruhig und still dasitzt, ewig freundlich lächelt und dazu auch noch bereit ist, nett von dem zu erzählen, was die Verwandten gerade interessiert. In diesem Alter brauchen Kinder viel Bewegung, müssen ihre Stimme ausprobieren dürfen und vor allem das machen, wozu sie Lust haben. Mit Forderungen nach "Schön brav sein" ist ein Kind in diesem Alter schlicht überfordert. Als Eltern müssen Sie deshalb Ihre Wohnung, Umgebung, Ihre Besuche und ähnliches so organisieren, dass sich das Kind zumindest genügend bewegen kann. Der Bewegungsdrang kann zwar unterdrückt werden, doch wird sich das sehr schnell sehr kontraproduktiv auswirken. Halten Sie sich auch damit zurück, vom Kind Höflichkeitsfloskeln ("Sag schöne "Danke"!") zu fordern. Es wird sie bestenfalls mechanisch nachplappern, jedoch kaum den Sinn dahinter verstehen.
Von der minimalen Toleranz, zu der Eltern bereit sein müssen, sind aber die Regeln und Grenzen zu unterscheiden, die das Kind ebenso braucht. Wenn Ihnen die Kinderschar am Esstisch zu laut wird, können Sie zum Beispiel fordern, dass die Kinder entweder aufhören zu singen, oder das Essen beenden und woanders weitersingen. Entscheidend ist, ob Sie sich tatsächlich gestört fühlen und das dem Kind auch so mitteilen ("Mir ist es zu laut!").
Kinder trotzen halt
Trotzen, also dem Willen der Eltern Widerstand zu leisten, ist zunächst ein Zeichen der gesunden Entwicklung des Kindes, wenn es seinen Willen zu entwickeln beginnt, typischerweise etwa im dritten Lebensjahr. Der frisch erwachte Wille ist noch sehr ungestüm und kennt keine Kompromisse. Wenn das Kind etwas will, will es sein Ziel sprichwörtlich "ohne Rücksicht auf Verluste" erreichen. Als Eltern müssen Sie deshalb lernen, konsequent zu bleiben, wenn Sie erst einmal "Nein!" gesagt haben. Das verlangt von Ihnen vor allem am Anfang durchaus eine gewisse Härte (zumal Sie es sich von der Phase der Vertrauensbildung her womöglich gewohnt waren, dass das Kind immer alles mit Begeisterung aufnahm, was von Ihnen kam). Und es ist offensichtlich, dass sich daraus Konflikte entwickeln können, an dessen Ende das Kind womöglich zu toben beginnt. Mit Tobsuchtsanfälle müssen Sie als Eltern denn auch rechnen und lernen, angemessen darauf zu reagieren.
Wenn Sie hingegen wankelmütig werden, weil Sie zum Beispiel einen Liebesentzug fürchten oder sich plötzlich nicht mehr so sicher sind, was Sie eigentlich wollen, wird das Kind sehr schnell verunsichert: Es spürt dann nicht mehr, wo genau die Grenzen sind und wird diese immer wieder suchen. Daraus kann sich ein Verhalten entwickeln, das gerne als "Trötzeln" bezeichnet wird. Es ist eine abgeschwächte, aber umso langwierigere und mühsamere Art des Trotzes.
Trotz wird häufig als schlechte Absicht des Kindes gegenüber seinen Eltern missverstanden. Dabei geht es bloss darum, dass das Kind Ihren Widerstand braucht, um seinen Willen gewissermassen zu kultivieren. Als Eltern müssen Sie deshalb lernen, standhaft zu bleiben und die Konfrontation anzunehmen, ansonsten das Kind immer noch mehr Gewalt anwenden wird oder sich den Widerstand woanders sucht. Das Kind wird dann schnell zum Störenfried und läuft grosse Gefahr, den Halt zu verlieren. Falls Sie also auf die Idee kommen, Ihr Kind würde nicht kooperieren, sollten Sie sich dringend mit Ihrem eigenen Verhalten auseinandersetzen, statt dem Kind womöglich Vorwürfe zu machen, ansonsten sehr schnell eine Teufelskreis entstehen kann.
Kinder kennen keine Gefahren
Doch, grundsätzlich haben Kinder sogar ein ausgesprochen gutes Gespür für Gefahren, doch muss zunächst differenziert werden:
- Natürliche Gefahren: Kinder haben ein ausgezeichnetes Gespür dafür, was sie sich zutrauen können und was nicht. Sie sind von Natur aus neugierig und mutig, doch sobald sie eine Gefahr wahrnehmen, reagieren sie mit Angst. Darauf müssen Sie als Eltern unbedingt achten, das heisst, Sie dürfen die Angst des Kindes nicht einfach ignorieren oder negieren, bloss weil Sie der Meinung sind, dass doch alles gar nicht so schlimm sei. Lassen Sie das Kind selbst entscheiden, was es sich zutrauen will, selbst wenn "objektiv gesehen" überhaupt keine Gefahr besteht (weil es sich zum Beispiel "bloss" vor der tiefen Stimme des Onkels ängstigt). Das Kind kann durch diese eigene Erfahrung lernen, Gefahren besser einzuschätzen und sein natürliches Gespür bestätigen. Die einzig wirklich grosse Ausnahme bei natürlichen Gefahren sind Gewässer, die Kinder kaum einschätzen können und von denen sie zudem noch magisch angezogen werden. Wenn das Kind aber auf einen Baum hochklettert oder von einem Mäuerchen runterspringen will, dürfen Sie es ruhig machen lassen und es in seinem Mut bestätigen. Haben hingegen Sie selbst Angst, dann sollten Sie ihm das auch so sagen ("Ich habe Angst, wenn Du da hochkletterst!"), denn von Natur aus vertraut es Ihnen ja und wird so viel eher zu umkehren bereit sein.
- Bagatellgefahren: Im weiteren sollten Sie wirkliche Gefahren von blossen Bagatellgefahren unterscheiden lernen, die in aller Regel völlig harmlos sind, weil von ihnen kaum eine ernsthafte Verletzungsgefahr ausgeht, wie zum Beispiel Hinfallen oder Anschlagen. In solchen Fällen braucht das Kind von Ihnen einzig Trost, wenn es sich weh getan hat. Lassen Sie das Kind zum Beispiel beim Laufen lernen ruhig hinfallen, es lernt das Gleichgewicht gerade durch diese Erfahrung am besten finden. Wenn Sie es hingegen dauernd davor bewahren wollen, wird es erstens mehr Mühe haben, selbständig zu laufen lernen und kann zweitens den Umgang mit Gefahren nicht üben, sodass es schliesslich tatsächlich die Risiken nicht mehr richtig einschätzen kann. Durch solches Überbehüten verliert das Kind mit der Zeit sein natürliches Gespür, sodass schnell ein eigentlicher Teufelskreis entstehen kann und das Kind tatsächlich auch einfache Gefahren nicht mehr richtig einzuschätzen weiss!
- Künstliche Gefahren: Künstliche Gefahren, also vor allem solche, die von technischen Geräten ausgehen, können Kinder in den ersten Jahren tatsächlich noch nicht erkennen und einschätzen, damit sind sie schlicht überfordert (für den Schutz vor dem Kochherd oder dem Strassenverkehr sind also Sie allein verantwortlich!). Das gilt auch ganz allgemein für Gefahren, in die das Kind von seinen Eltern gebracht wird (typischerweise das Hochheben auf den Wickeltisch!). Es ist deshalb umso wichtiger, dass Ihr Vertrauensverhältnis zum Kind intakt ist, sodass es Ihren Warnungen auch dann vertraut, wenn es die Gefahr gar nicht sehen kann, Ihnen also gewissermassen blind vertrauen sollte. Für diese Vertrauensbildung sind Sie als Eltern zuständig.
Wenn Sie also den Eindruck haben, Ihr Kind würde sich zu sehr in Gefahren begeben, dann sollten Sie sich zunächst fragen, ob es sich erstens um wirkliche Gefahren handelt und was Sie zweitens selbst dazu beigetragen haben, dass dem Kind sein von Natur aus eigenes Gespür abhandengekommen ist.
Mütter sind an allem schuld
Die ersten Jahre sind für einen Menschen absolut entscheidend. Und da diese Zeit mit dem weitaus wichtigsten Teil der Erziehung zusammenfällt, kommt den Eltern eine entsprechend grosse Verantwortung zu. Das gilt selbstverständlich sowohl für die Mutter als auch für den Vater in gleichem Masse (und zwar nicht nur auch, sondern erst recht, wenn dieser aus irgendwelchen Gründen abwesend ist!). Fehlentwicklungen eines Menschen können tatsächlich fast immer auf Erziehungsfehler zurückgeführt werden, auch wenn diese im Nachhinein häufig nur noch schwer zu erkennen sind.
Eltern haben nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, ihre Kinder "nach bestem Wissen und Gewissen" zu erziehen. Mehr ist aber nicht verlangt! Kinder kommen mit einer eigenen Persönlichkeit auf die Welt, wofür sie mehr und mehr selbst die Verantwortung übernehmen wollen und auch können. Es ist denn zudem interessant zu beobachten, dass Kinder ganz unterschiedlich auf Erziehungsfehler ihrer Eltern reagieren. Und vor allem können die meisten Kinder sich irgendwann mit ihren Eltern versöhnen, wenn sich diese bei der Erziehung wenigstens Mühe gegeben haben, also das unternahmen, was ihnen den Umständen entsprechend möglich war. Erwachsene Kinder machen häufig die Erfahrung, dass sie aus ihrer Kindheit eine Art Rucksack mit sich tragen, der ihnen Mühe macht, gerade wenn es um Themen der Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit geht. Werden sie sich dieser Last bewusst und können sich mit den Ursachen aktiv auseinandersetzen, werden sie diese Last regelmässig als eine Art Energiereserve erleben, die sie plötzlich anzapfen können.
Gehen Sie schliesslich davon aus, dass Sie genau die Fähigkeiten haben, die Sie für die Erziehung Ihrer Kinder benötigen. Es wird von Ihnen nichts Unmögliches verlangt! Schuldgefühle sind wenig hilfreich. Alle Eltern machen Fehler, wichtig ist einzig, dass Sie sich den Fehlern früher oder später bewusst werden. So können Fehler zu Erfahrungen werden und im besten Fall können Sie es später als Grosseltern besser, oder doch zumindest anders, machen.
Bedingungslose Mutterliebe
Die Liebe ist an sich schon ein grosses Geheimnis, die Mutterliebe aber wird häufig auch noch auf eine Art und Weise mystifiziert, dass Missverständnisse fast schon zwangsläufig sind. Sinnigerweise erscheint das Thema meistens in Extremsituationen, wenn es zum Beispiel darum geht, zu welchem Opfer eine Mutter bereit wäre, wenn ihr Kind an Leib und Leben bedroht ist. Der Alltag von Eltern hat aber zumindest in der westlichen Zivilisation höchst selten mit lebensbedrohlichen Situationen zu tun. Wenn es schon um Liebe geht, wäre es deshalb sinnvoller, sich bewusst zu werden, was das Kind im gewöhnlichen Alltag von seinen Eltern, also von Mutter und Vater, braucht.
Das "Zweimalzwei der Erziehung" betrachtet in einer Beziehung Vertrauen und freier Wille als Grundlagen. Vereinfacht ausgedrückt geht es um das "Ja" und das "Nein!". Das ist in der Erziehung nicht anders, ausser dass dafür in erster Linie, das heisst zumindest während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung, die Eltern allein verantwortlich sind. Es geht denn auch vor allem um Erziehungsarbeit, die zwar einfach zu lernen ist, aber im Alltag auch sehr anstrengend und anspruchsvoll sein kann. So gesehen bedeutet die Mutterliebe, beziehungsweise ganz allgemein die Elternliebe, dass Sie lernen,
- erstens den Grundbedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes zu vertrauen und
- zweitens, wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, ihm Herausforderungen zu ermöglichen und Grenzen zu setzen.
Hüten sollten Sie sich hingegen vor romantisierenden Vorstellungen der Liebe, die mehr mit unerfüllten beziehungsweise unerfüllbaren Wünschen als mit der Wirklichkeit zu tun haben.
Abhärten
Manche Eltern fragen sich, ob sie ihre Kinder nicht zu sehr verweichlichen würden, beziehungsweise ob sie die Kinder nicht etwas abhärten müssten. In der Erziehung geht es aber weder um das eine noch um das andere.
Erstens geht es darum, dass Sie sich über positives und negatives Verwöhnen Gedanken machen sollten: Während der Phase der Vertrauensbildung dürfen und sollen Sie die Grundbedürfnisse des Kindes immer, sofort und bedingungslos befriedigen, also grundsätzlich zu allem "Ja" sagen. Wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, müssen Sie aber lernen, auch "Nein!" zu sagen und konsequent dabei zu bleiben. Das mag Ihnen anfangs vielleicht "hart" vorkommen, doch wenn Sie erkennen, wie wichtig Herausforderungen und Grenzen für das Kind sind, werden Sie verstehen, dass das "Nein!" genauso wichtig ist wie das "Nein!".
Zweitens geht es darum, dass Kinder Herausforderungen brauchen, um sich entwickeln zu können. Dazu gehört, dass Sie Ihrem Kind Verantwortung übergeben, das heisst, ihm zutrauen, dass es etwas kann und ihm auch Hindernisse zumuten. Wenn es zum Beispiel seine Jacke, die ihm gerade lästig geworden ist, einfach auf den Boden schmeisst, sollten Sie es die Konsequenzen erfahren lassen: Lassen Sie die Jacke liegen, statt sie nachzutragen, fordern es stattdessen auf, diese aufzuheben und warten Sie so lange, bis es Ihrer Aufforderung nachkommt.
Herausforderungen und Grenzen können schnell zu Missgeschicken beziehungsweise Konfrontationen führen. Wichtig ist deshalb, dass Sie dem Kind immer und bedingungslosen Trost geben und bereit sind, sich mit ihm zu versöhnen. Das sind die beiden entscheidenden Voraussetzungen, um genügend Frustrationstoleranz aufbauen zu können. Und einzig darum sollte es beim Thema "Abhärtung" gehen: dass das Kind lernt, mit Widerstand und Misserfolgen umzugehen.
Weiterführende Themen
Übergeordnetes Thema
- Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)
- Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)
Fragen und Feedback
Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email