Regeln sind für das Zusammenleben von Menschen essentiell: Jede Beziehung benötigt gewisse, mehr oder weniger bewusst vereinbarte, Regeln, nach denen diese gelebt werden soll. Das gilt für die Erziehung erst recht, allerdings mit dem entscheidenden Unterschied, dass

  • erstens dafür zunächst allein die Eltern verantwortlich sind und
  • zweitens diese Regeln ausdrücklich abgemacht beziehungsweise vereinbart, oder doch zumindest vorgelebt, werden müssen.

Das Kind kennt von Natur aus blosse Regelmässigkeiten, also eine Art Vorstufe zu eigentlichen Regeln. Diese Regelmässigkeiten sind fundamental in der Phase der Vertrauensbildung, also etwa in den beiden ersten Jahren, bevor das Kind seinen Willen entwickelt.

Abmachungen und Vereinbarungen müssen dem Kind hingegen erst gelehrt werden. Sie sind das weitaus wichtigste Instrument der Erziehungsarbeit, wenn es darum geht, dem Kind Grenzen zu setzen, wenn es seinen Willen zu entwickeln beginnt, das heisst ab etwa dem dritten Lebensjahr.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Regeln entstehen häufig aus Regelmässigkeiten, das heisst Wiederholungen von alltäglichen Dingen wie Stillen, Essen, Schlafen usw. (eine gesteigerte Form können eigentliche Rituale sein). Je mehr Sie zusammen mit Ihrem Kind einen Rhythmus finden, desto mehr gewinnt Ihre Beziehung zum Kind an Vertrauen: Das Kind lernt zum Beispiel, dass es nach dem letzten Schoppen des Tages, wenn es den Schlafanzug schon angezogen hat, schlafen gehen kann, sich also keine Sorgen mehr machen muss und loslassen kann. Aus solchen Regelmässigkeiten schöpft das Kind Vertrauen in den Lauf der Dinge und wird sich irgendwann auch darauf verlassen können, dass es die ganze Nacht durchschlafen kann und erst am nächsten Morgen wieder Essen und Trinken verlangen.

In der Vertrauensphase, also bevor das Kind seinen Willen entwickelt, können Sie Regeln schon aus den natürlichen Rhythmen ableiten (nach dem Stillen legen Sie das Kind zum Schlafen, nach dem Nachtessen waschen Sie ihm Hände und Gesicht usw.). Daraus können Sie dann nach und nach eigentliche Abmachungen treffen ("Wenn Du fertig gegessen hast, gehst Du Dich bereit machen, um ins Bett zu gehen."). Halten Sie sich möglichst konsequent an solche Abmachungen, sodass das Kind weiss, was, wann auf es zukommt. Diese Wiederholungen geben ihm Sicherheit und somit Vertrauen. Wenn das Kind eine solche Abmachung einmal vergisst, liegt es an Ihnen, es daran zu erinnern.

Je reifer das Kind ist, desto anspruchsvoller können Abmachungen sein ("Wenn Du nach dem Spielen aus dem Garten zurück kommst, klopfst Du zuerst die Schuhe aus."). Abmachungen sind noch einseitig, das heisst es liegt an Ihnen als Eltern, diese zu formulieren und dem Kind als Aufforderungen mitzuteilen (und nicht etwa als Frage oder Bitte: "Kannst Du bitte noch die Schuhe verräumen?"). Denken Sie daran, dass Kinder in diesem Alter volles Vertrauen in ihre Eltern haben und deshalb mit eindeutigen Aussagen bestens klar kommen. Eine Bitte oder eine Frage hingegen provoziert schon rein sprachlich die Möglichkeit, diese abzulehnen beziehungsweise zu verneinen. Vertrauen schaffen heisst aber in erster Linie "Ja" sagen, das "Nein!" folgt erst in der nächsten Phase, wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Schon bald, das heisst spätestens mit der Willensbildung nach etwa zwei Jahren, geht es dann nicht mehr nur um Regelmässigkeiten, sondern darum, dass dem Kind mit Regeln auch Grenzen aufgezeigt werden: Tischmanieren und ähnliches sind dazu ein Musterbeispiel. Dabei ist es weniger wichtig, welche Anstandsregeln bei wem zur Anwendung kommen, als vielmehr dass diese konsequent umgesetzt werden. Konsequent heisst, dass die Regeln eingehalten werden. Dafür sind allein die Eltern verantwortlich, das heisst, es liegt an Ihnen, dass Sie erstens darauf achten, ob die Regel vom Kind (und erst recht von Ihnen!) eingehalten wird und dass Sie zweitens auch die Folgen der Nichteinhaltung umsetzen. Wenn Sie dem Kind zum Beispiel sagen, dass es ohne Essen vom Tisch muss, wenn es mit den Erbsen herumzuschmeissen beginnt, macht das nur Sinn, wenn Sie die Regel ohne Wenn und Aber umsetzen und bereit sind, die Konsequenzen (tobendes Kind und ähnliches) zu ertragen! Ansonsten sollten Sie eine solche Regel unbedingt sein lassen, da es ausgesprochen kontraproduktiv wirken würde, wenn das Kind merkt, dass Sie gar nicht bereit sind, diese auch einzuhalten.

Eine Gratwanderung können Ausnahmen von Regeln sein. Dabei geht es weniger darum, wie oft Sie nachgeben, sondern wie schnell: Wenn das Kind zum Beispiel ausnahmsweise länger als vereinbart bei der Tagesmutter bleiben will, sollten Sie wenigstens verlangen, dass es Ihnen den Wunsch begründet, sodass Sie auch spüren, dass es dem Kind etwas wert ist. Gerade im Alter, da Sie mit dem Kind Vereinbarungen treffen können, ist es entscheidend, dass Sie ihm die Gelegenheit geben, mitzuverhandeln. So wird sich das Kind viel einfacher an die Vereinbarung halten, weil es spürt, dass seine Anliegen auch ernst genommen werden.

Regeln sind denn auch bestens geeignete Übungsfelder, um Kindern Verantwortung zu lehren, jedenfalls wenn Sie diese mit den Kindern gemeinsam vereinbaren. Das funktioniert natürlich erst, wenn das Kind den Sinn einer Regel auch verstehen kann. Ob es dazu bereits fähig ist, merken Sie zum Beispiel daran, dass es selbst Vereinbarungen vorschlägt oder nach dem "Warum" einer Regel fragt und diese nicht mehr einfach in blindem Vertrauen befolgt. Bestens geeignet ist da natürlich der Ämtliplan für Küchenarbeiten: Es leuchtet Kindern sehr schnell ein, dass es erstens nötig ist, das Geschirr abzuwaschen und dass Sie zweitens nicht alles alleine machen wollen. Wenn die Kinder dann noch mitbestimmen dürfen, wer, wann, was zu erledigen hat, werden Sie auch das ohne grössere Probleme hinkriegen!

Darauf verzichten sollten sie hingegen, Regeln einfach so spasseshalber aufstellen, denn Ironie führt bei Kindern einzig zu Verwirrung, da sie noch gar nicht fähig sind, den Sprachwitz der Erwachsenen zu verstehen, das heisst sie nehmen Ihre Aussagen grundsätzlich wortwörtlich!

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Unterschiedliche Regeln

Eltern befürchten häufig, dass sie Probleme bekämen, wenn das Kind, nachdem es zum Beispiel bei den Grosseltern andere Regeln erfahren hat, wieder zurück kommt. Diese Angst ist unbegründet, denn für Kinder ist es eine fundamentale Erfahrung, dass es unterschiedliche Regeln gibt: Denken Sie bloss an die unterschiedlichen Rollen von Vater und Mutter während der Schwangerschaft und der Geburt und der (ersten) Zeit danach: Während das Kind zum Beispiel von der Mutter gestillt wird, wird es vom Vater gewickelt. Wichtig ist einzig, dass Sie ihm sagen, wo was gilt und ihm erklären weshalb, wenn es danach fragt.

Ähnliches gilt auch bei Geschwistern, wo gewisse Regeln vom Alter des Kindes abhängen (oder gar von der Erfahrung der Eltern!). Regeln dürfen sich durchaus entwickeln, allerdings sollte für das Kind eine Art roter Faden erkennbar sein. Wenn Sie zum Beispiel dem Kind Ihr Mobiltelefon immer dann zum spielen überlassen, wenn Sie selbst in Ruhe ein Fußballspiel sehen wollen und es ihm bei anderer Gelegenheit mit der (an sich sinnvollen) Begründung verweigern, dass ihm das nicht gut tue, ist die Regel aus der Sicht des Kindes natürlich nicht mehr plausibel!

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Regeln und Gehorchen

Eines der größten Missverständnisse in der Erziehung ist die Meinung, dass Kinder lernen müssten zu gehorchen: Das Ziel der Erziehung sollte nicht Gehorsam sein, sondern Selbständigkeit. Dazu braucht es einen freien Willen, also ziemlich genau das Gegenteil. Allerdings bedeutet ein freier Wille nicht, dass man einfach ohne Rücksicht auf die Umwelt tun und lassen kann, wozu man gerade Lust und Laune hat, sondern dass der Mensch die Freiheit verantwortungsvoll nutzen kann.

Um diese Freiheit erreichen zu können, muss der Wille des Kindes zuerst gewissermassen kultiviert werden. Dafür braucht das Kind Eltern, die ihm Grenzen setzen. Wenn das Kind zum Beispiel das Spielzeug vor dem Essen nicht verräumen will, obwohl das bei Ihnen als Regel so gilt, können Sie das Kind vor die Wahl stellen: Spielzeug verräumen und essen oder Spielzeug liegen lassen und auf das Essen solange warten, bis die Regel erfüllt ist. Das geht vollkommen ohne Zwang (der äusserst kontraproduktiv wirken würde!). Gut möglich, dass es aber nur mit Toben geht, denn wenn das Kind mit seinem frische erwachten Willen an eine Grenze stösst, ist es zunächst ganz natürlich, dass es wütend wird.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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