Bewegen
Bewegung ist ein Grundbedürfnis des Kindes. Entscheidend ist aber weniger, wie viel oder wie wenig sich das Kind bewegt, sondern dass es sich möglichst immer je nach seiner Lust bewegen darf. Eltern müssen deshalb vor allem darauf achten, dass sie ihre Kinder nicht am bewegen hindern.
Bewegung und Entwicklung
Es ist für Eltern etwas vom Faszinierendsten, wenn sie das Kind beobachten, wie es nach und nach lernt, seinen Kopf und seine Arme und Beine zu bewegen. Was anfänglich erst ein Greifreflex der Hand ist, bildet sich mehr und zu einem gezielten Ergreifen aus. Und das Kind lernt alles von sich aus, ohne jedes äussere Dazutun. Als Eltern brauchen Sie sich bloss darüber zu freuen. Das gilt auch und insbesondere, wenn das Kind beginnt zu laufen lernen: Es kommt von alleine auf die Idee und findet seinen ganz eigenen Weg, wie es am besten geht. Halten Sie sich möglichst zurück mit Nachhelfen. Das Kind verlangt Hilfe von sich aus, indem es zum Beispiel die Arme nach Ihnen ausstreckt. Lassen Sie es auch hinfallen, wenn es sich zu viel zugemutet hat, das Kind ist ja noch bestens gepolstert. Denn Kinder lernen vor allem durch eigene Erfahrungen.
Ausprobieren und sich bewegen bedeutet für das Kind auch immer sich entwickeln. Achten Sie deshalb schon von Anfang an darauf, dass sich das Kind frei bewegen kann. Wenn das Kind zum Beispiel noch auf Ihren Armen ist, sollte es an Ihrem Gesicht, an Ihren Kleidern aber auch an Ihrem Schmuck hantieren dürfen. Wenn Sie es hingegen dauernd abwehren müssen, weil Sie Angst um irgendwelche Beschädigungen oder Verschmutzungen haben, wird das Kind irgendwann frustriert.
Kinder sollten sich möglichst in der ganzen Wohnung frei bewegen können. Dazu müssen Sie anfangs sicher gewisse Kompromisse bei der Einrichtung eingehen, indem Sie zum Beispiel Zerbrechliches in Sicherheit bringen (beziehungsweise deren Bruch in Kauf nehmen). Kinder sind allerdings auch nicht ganz so unvorsichtig, wie vielfach angenommen. Das Problem ist einzig, dass sie immer zuerst selbst erfahren müssen, wie etwas kaputt geht, das ist leider unvermeidlich. Wenn das Kind aber erst einmal erfahren konnte, dass ein Glas in die Brüche geht, wenn es auf den Boden fällt, hat es daraus gelernt und Sie können es beim nächsten Mal, wenn wieder Gefahr droht, daran erinnern und es zur Vorsicht mahnen (statt es ihm zum Beispiel einfach aus der Hand zu reissen).
Bewegung und Gefahren
Kleinkinder mögen sehr zerbrechlich wirken, von Natur aus sind sie aber noch sehr viel besser geschützt als Erwachsene. Ihr "Babyspeck" verhindert in aller Regel Verletzungen durch Hinfallen und ähnliches. Das gilt zumindest für natürliche Gefahren. Vorsicht ist hingegen bei künstlichen Gefahren geboten, da diese von Kindern noch nicht eingeschätzt werden können, weshalb Sie zumindest Ihre Wohnung entsprechend einrichten müssen.
Von wirklichen Gefahren abgesehen geht es aber bei der grossen Mehrheit um blosse Bagatellgefahren, bei denen kaum je ernsthafte Verletzungen drohen. So muss das Kind unbedingt selbst erfahren können, dass es sich weh tun kann, wenn es zum Beispiel mit seinen Händen wie wild auf die Bauklötze einschlägt. Lassen Sie es austoben und selbst erfahren, wo die Grenzen sind. Das einzige, was das Kind braucht, wenn es sich weh getan hat, ist Ihr bedingungsloser Trost.
Bewegung und Getragen werden
Das Kind soll sich also ganz nach seiner Lust bewegen dürfen. Das heisst aber umgekehrt, dass es auch Lust haben darf, sich nicht zu bewegen, sei es, weil es müde ist, sei es, weil es Ihre Nähe braucht. Gerade Kleinkinder, die laufen lernen, brauchen auch die Rückversicherung, dass sie jederzeit wieder von Ihren Eltern getragen werden. Das hat nicht etwa mit Bequemlichkeit zu tun, sondern mit dem Bedürfnis nach Beziehung (weshalb bei Beziehungen denn ja auch im übertragenen Sinne von "Getragen werden" gesprochen wird!). Gegen seinen Willen sollten Sie das Kind aber weder tragen noch im Wagen schieben, auch wenn das Ihnen manchmal bequemer wäre. Eine derartige "Zwangsbeglückung" kann sich ausgesprochen kontraproduktiv auswirken, indem das Kind mit einer Gegenreaktion antwortet.
Bewegung und Ruhe
So gross der Bewegungsdrang von Kindern sein mag, so gross kann auch ihr Bedürfnis nach Ruhe und Stille sein. Allerdings folgt der Wechsel in einem ganz eigenen Rhythmus, der nur allzu oft den Plänen der Eltern entgegenläuft. Zumindest in der Phase der Vertrauensbildung sollten Sie das Kind noch völlig frei entscheiden lassen, ob es sich lieber bewegt oder ruhig ist. Mit der Forderung stillzuhalten ist ein Kleinkind noch schlicht überfordert. Das sollten Sie auch bedenken, wenn es um Tischmanieren geht: Sobald das Kind genug gegessen hat, kann es keinen vernünftigen Grund mehr erkennen, noch am Tisch warten zu müssen, bis alle anderen fertig gegessen haben.
Bewegung und Grenzen
Mit der Entwicklung des Willens, also ab etwa dem dritten Lebensjahr, wird der Bewegungsdrang der Kinder nochmals verstärkt. Kinder können dann sehr ungestüm werden. Umso wichtiger ist es, dass sie dann genügend Freiraum haben, sei es in der Wohnung, sei es auf dem Spielplatz oder - noch besser - in der freien Natur. Gerade das Herumtoben im Wald setzt dem Kind schon von selbst Grenzen, da es sich zum Beispiel anstrengen muss, auf einen Baum zu klettern oder es feststellen muss, dass sich nicht jeder Ast gleich einfach zerbrechen lässt. In der Wohnung hingegen müssen Sie als Eltern zum Beispiel die Frage beantworten müssen, ob die Polstergruppe beliebige Luftsprünge aushält und entsprechende Regeln aufstellen. Denn das Kind muss in diesem Alter nun auch Grenzen gesetzt erhalten, um seinen Willen gewissermassen zu kultivieren.
Bewegung und Tanz oder Sport
Der Übergang von der eher spielerischen Bewegung zu eigentlichem Tanz oder Sport ist fliessend. Meistens besteht der Unterschied ganz einfach darin, dass erst von Tanz oder Sport gesprochen wird, wenn das Kind in ein organisiertes Training geht. Entscheidend sollte aber auch hier sein, dass das Kind möglichst frei wählen kann, zu was es Lust hat. Kinder, die entscheiden dürfen, sind auch viel selbstverständlicher bereit, die Verantwortung dafür zu tragen, was vor allem bedeutet, dass sie gerne und regelmässig ins Training gehen oder zusätzlich zu Hause üben. Voraussetzung ist natürlich immer, dass das Kind eine gewisse Reife hat, das heiss, dass es sich auch in einer Gruppe ausserhalb der Familie behaupten und seine Kameraden respektieren kann. Gleiches gilt im übrigen auch für Musik und andere organisierte Freizeitaktiviäten wie Pfadfinder.
Bewegung und Mobilität
Die Mobilitätsgewohnheiten der westlichen Zivilisation mögen zwar für die Gesellschaft bequem und für die Wirtschaft lukrativ sein, für Kinder sind sie hingegen alles andere als sinnvoll. Denn Kinder wollen sich grundsätzlich selbst bewegen. Und das ist ja auch gesund, nicht nur für die Kinder selbst, sondern auch für die Umwelt und somit für deren Zukunft! Nachhaltigkeit ist schon an sich ein Gebot der Stunde, mit Kindern sollten Sie sich aber erst Recht Gedanken über die Folgen der Umweltzerstörung durch Autos, Flugzeuge usw. machen.
Ersetzen Sie deshalb möglichst alle Autofahren durch Radfahren oder zumindest durch öffentliche Verkehrsmittel. Je früher Sie die Kinder daran gewöhnen, desto eher werden sie sich später auch gesund und nachhaltig fortbewegen. Davon abgesehen sind Autofahrten und Flüge für Kinder häufig mehr Qual denn Lust, während sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln zumindest ein wenig bewegen können und beim Radfahren sogar schon sehr bald selbst fahren können.
Folgen mangelnder Bewegung
Ein Kind, das sich nicht genügend bewegen kann, beziehungsweise nicht so, wie es Lust dazu hat, wird in seiner Entwicklung behindert. Die Folgen können mannigfaltig sein:
- Stören: Kinder können ihre Energie nicht einfach in Luft auflösen. Sie werden deshalb andere Wege suchen, etwas damit anzufangen, indem sie zum Beispiel übermässig lärmen oder provozieren.
- Bequemlichkeit: Werden Kinder in ihrem Bewegungsdrang behindert, finden sie sich irgendwann damit ab und werden bequem. Es wird dann je länger desto schwieriger sie noch motivieren zu können.
- Übergewicht: Wenn die mangelnde Bewegung auch noch mit einer unausgewogenen Ernährung einhergeht, ist Übergewicht die logische Folge.
- Kurzsichtigkeit: Wird die Bewegung durch übermässigen Zeitvertreib am Bildschirm, insbesondere von Mobiltelefonen, ersetzt, werden sich die jungen Augen des Kindes vermehrt auf diese Distanz einstellen, sodass die Gefahr von Kurzsichtigkeit deutlich erhöht wird.
- Motorische Unterentwicklung: Die motorik|motorischen Fähigkeiten des Kindes können sich nur durch genügend Übung und eigenes Ausprobieren voll entwickeln.
- "Behinderung": Kindern, denen dauernd nachgeholfen wird oder die immer wieder vor Bagatellgefahren geschützt werden, werden dadurch nicht etwa gefördert, sondern in ihrer Entwicklung behindert. Überbehütung wirkt sich also ausgesprochen kontraproduktiv aus.
- Geistige Unterentwicklung: Schliesslich besteht auch ein Zusammenhang zwischen körperliche Bewegung und dem geistigen Verständnis.
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Übergeordnetes Thema
Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)
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