Zwangsbeglücken

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Die Abhängigkeit, mit der Menschenkinder zur Welt kommen, treibt viele Eltern dazu, ihr Kind schon mal vorsorglich mit Unmengen an gut gemeinten Dingen zu einzudecken. Dabei geht häufig vergessen, dass schon Kleinkinder selbst am besten wissen, was sie wirklich brauchen und sich zudem von sich aus bemerkbar machen, wenn ihnen etwas Wichtiges fehlt. Von den Eltern ist deshalb in erster Linie Aufmerksamkeit für die Grundbedürfnisse des Kindes gefordert. Das heisst, Sie müssen ein Gespür entwickeln, um Ihr Kind und seine tatsächlichen Bedürfnisse mehr und mehr besser verstehen zu können, ansonsten die Gefahr gross ist, dass Sie zu viel des Guten leisten, was dann eben bloss noch vermeintlich gut ist und sich geradezu kontraproduktiv auswirkt. Das gilt vor allem für die Zeit, während der das Kind noch nicht sprechen kann und sich in erster Linie durch seine Mimik oder Gestik mitteilt.

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Beispiele und mögliche Folgen

Gerade in den ersten Jahren, in denen sich das Kind nur schwer gegen seine Zwangsbegeglückung wehren kann, kommen Eltern häufig in Versuchung, ihm gegen seinen Willen (vermeintlich) Gutes tun zu wollen (in alphabetischer Reihenfolge):

  • Einschlafen: Jedes Kind kann schlafen, jedenfalls wenn Sie es selbst bestimmen lassen, wann es genügend müde ist und bereit ist loszulassen. Wenn Eltern hingegen meinen, sie wüssten besser, wann der richtige Zeitpunkt ist, wird sich das Kind mit grösster Wahrscheinlichkeit dagegen wehren, was durchaus als vernünftig zu betrachten ist. Denn nur das Kind selbst weiss, wann es erstens müde ist und zweitens auch bereit ist schlafen zu gehen!
  • Essen und Trinken: Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass Kinder so viel, aber eben auch nur so viel, essen und trinken dürfen, wie sie mögen. Sie tun einem Kind nicht den geringsten Gefallen, wenn Sie versuchen, es zu mehr zu motivieren, als es von sich aus mag. Im schlimmsten Fall können Sie damit sogar Essstörungen provozieren. Kinder haben noch ein ausgezeichnetes Gespür dafür, wieviel sie brauchen und es kann durchaus auch einmal vorkommen, dass sie zum Beispiel eine ganze Mahlzeit auslassen, ohne deswegen gleich krank sein zu müssen. Wenn es hingegen darum geht Neues auszuprobieren, können Sie natürlich versuchen, dem Kind etwas schmackhaft zu machen.
  • Hochheben und Halten: Kinder brauchen immer wieder die Nähe ihrer Eltern und wollen entsprechend viel gehalten und getragen werden - aber eben nur dann, wenn sie es selbst wollen! Warten Sie also, bis das Kind danach verlangt und lassen Sie es selbst bewegen, so viel es mag (jedenfalls solange nicht wirkliche Gefahren drohen). Wenn Sie das Kind immer wieder fangen und packen, womöglich noch von hinten, erschrecken sie es und behindern dadurch womöglich seinen natürlichen Bewegungsablauf (selbstverständlich gilt das nicht für den Fall, wo Sie mit ihm zum Spass Fangen spielen).
  • Helfen und Nachhelfen: Kinder wollen möglichst alles selbst tun, so ungelenk sie noch sein mögen. Fragen Sie deshalb immer zuerst, ob Sie helfen sollen. Das gewöhnen Sie sich übrigens am besten gleich ganz von Anfang an, also selbst dann, wenn Sie noch kaum eine Antwort erwarten können. Das Kind spürt so, dass Sie es respektieren und Sie lernen, zunächst einmal seinen Fähigkeiten zu vertrauen. Wird Kindern hingegen zu viel abgenommen, drohen sie irgendwann ihren angeborenen Glauben an die eigenen Kräfte zu verlieren und können entsprechend wenig Selbstvertrauen aufbauen.
  • Liebkosungen: Die meisten Kinder mögen Liebkosungen und verlangen von sich aus danach. Heikel wird es aber, wenn Erwachsene meinen, sie hätten gewissermassen einen Anspruch darauf, den das Kind mit Freude befriedigen soll ("Oma hat noch ein Küsschen zum Abschied zugut!"). Denn im schlimmsten Fall macht es sich das Kind aber bereits früh zur Gewohnheit, Berührungen, die es aus irgendwelchen Gründen gerade gar nicht mag, stillschweigend zu dulden. Kinder haben aber genauso ein Recht "Nein!" zu sagen wie Erwachsene, und zwar auch dann, wenn der Kuss zum Beispiel als Dankeschön für ein Geschenk gefordert wird. Erzwungenen Liebkosungen sollten Sie denn auch tatsächlich als eine Vorstufe des sexuellen Missbrauchs verstehen!
  • Überfluss: Der in der westlichen Zivilisation üblicherweise vorherrschende allgemeine Überfluss bringt leider gerade für Kinder ungeahnte Probleme mit sich. Denn Kinder können noch weniger als Erwachsene damit umgehen. So sehr sich ein Kind zum Beispiel über ein Kuscheltier freuen kann, so sehr schwindet diese Freude, wenn es damit überhäuft wird, bloss weil diese überall zu Spottpreisen angeboten oder gar verschenkt werden. Solches (negatives) Verwöhnen kann auch schnell zu masslosen Wünschen oder wählerischem Verhalten führen. Warten Sie deshalb, bis sich das Kind etwas wirklich wünscht und Sie darum bittet.
  • Warme Kleider: Kleinkinder können anfangs ihre Körpertemperatur zwar tatsächlich noch nicht selbst regulieren, weshalb Sie natürlich für genügend Wärme sorgen müssen. Doch schon bald wird sich Ihr Kind zum Beispiel gegen zu viele oder zu warme Kleider wehren. Lassen Sie das Kind selbst entscheiden, wie viel es anziehen möchte, selbst dann, wenn Sie zum Beispiel beabsichtigen nach draussen in die Kälte zu gehen. Denn das Kind lebt noch voll und ganz im Hier und Jetzt, kann also noch nicht abschätzen, dass es kurze Zeit später frieren wird. Sie müssen es diese Erfahrung schon mindestens einmal selbst machen lassen, dann wird es Ihnen beim nächsten Mal einfacher glauben können (die warme Jacke nehmen Sie natürlich vorsorglich selbst mit). Streifen Sie ihm hingegen einfach gegen seinen Willen die Kleider über, wird es in erster Linie erfahren, dass Sie sein "Nein!" nicht respektieren und vernünftigerweise erst Recht darauf pochen. Wenn Sie ihm dann noch den Vorwurf machen, es würde trotzen, kann schnell ein Teufelskreis entstehen.

Zwangsbeglückung wirkt sich also regelmässig kontraproduktiv aus. Wenn Eltern meinen, sie wüssten besser, was für ihr Kind gut ist als dieses selbst, können sie damit das von Natur aus vorhandene Gespür massiv beeinträchtigen, sodass es später häufig selbst kaum mehr weiss, was ihm eigentlich gut tut und Mühe haben wird sich zu entscheiden. Je nach Persönlichkeit wird das Kind eher resignieren oder protestieren. Vor allem in der Phase der Vertrauensbildung sollten Sie sich deshalb auf die Grundbedürfnisse des Kindes konzentrieren, denn das Kind braucht nicht einfach möglichst viel von allem, sondern möglichst immer und sofort genau das, wonach es verlangt. So genügt es zum Beispiel, dass Sie ihm Tee geben, wenn es Durst anmeldet, hingegen brauchen Sie es nicht zu jeder Stunde zu fragen, ob es lieber Apfelsaft oder doch lieber Milch hätte.

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