Willensschwach

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Willensschwach wird ein Kind, wenn es während der Phase der Willensbildung zu wenig Herausforderungen oder zu wenig Grenzen erhält. So kann es nicht erfahren, wie es seinen Willen konstruktiv einsetzen kann. Ein zu wenig genutzter Wille verschwindet zwar nicht einfach, aber er verkümmert. Der Wille ist nebst dem Selbstvertrauen die wichtigste Kraft des Menschen, sodass die Folgen von Willensschwäche für die Persönlichkeit gravierend sein können.

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Mögliche Ursachen

Phase der Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Während der Phase der Vertrauensbildung hat das Kind erst einen Lebenswillen, der dafür sorgt, dass es sich lautstark wehrt, wenn seine Grundbedürfnisse nicht sofort und genügend befriedigt werden. Dieser Lebenswille ist so stark, dass er eigentlich bloss bei einer völligen Vernachlässigung des Kindes beeinträchtigt werden kann, insbesondere wenn es von seinen Eltern verlassen wird. Es ist sogar häufig zu beobachten, dass in dieser Zeit vernachlässigte Kinder in einer Art Trotzreaktion einen unglaublich starken Willen entwickeln. So kann das verloren gegangene Vertrauen immerhin kompensiert werden, was später zu grosser Selbständigkeit führen kann, meistens aber auf Kosten der Beziehungsfähigkeit geht.

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Phase der Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Der Hauptgrund für einen schwachen Willen liegt vor allem in der Phase der Willensbildung. In jedem Kind entwickelt sich, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, eine geradezu unheimlich starke Kraft, die anfangs noch roh und ungestüm daherkommt: der frisch erwachte Wille des Kindes kennt kaum Grenzen und kann geradezu absolut und existenziell sein. Das Kind will zum Beispiel scheinbar aus dem Nichts heraus ein Taschenmesser, das es gerade entdeckt hat. Und wenn Sie ihm das Objekt seiner Begierde aus irgendeinem, wenn auch durchaus vernünftigen, Grund verweigern, beginnt es zu toben, als ginge es um Leben und Tod. Der Wille des Kindes konfrontiert Sie als Eltern zumindest die ersten Male meistens ohne jede Vorwarnung, dafür mit voller Wucht! Als Eltern müssen Sie sich in diesem Moment erstens bewusst werden, dass dies ein Zeichen der gesunden Entwicklung des Kindes ist und dass es zweitens einzig an Ihnen liegt, damit umzugehen lernen. Denn das Kind braucht in diesem Moment Widerstand: Sein Wille ist wie ein roher Diamant, der noch geschliffen werden muss. Erfährt das Kind diesen Widerstand nicht, wird sein Wille ziemlich schnell erlahmen und verkümmern. Mangelnder Widerstand kommt in verschiedenen Formen vor:

  • Mangelnde Herausforderungen: Kinder brauchen Herausforderungen, um ihren Willen einsetzen zu können, seien es Bäume um hochzuklettern, seien es Kräftemessen mit den Eltern. Fehlen ihnen die Ziele, ist das vergleichbar mit einem Rennrad, das einfach herumsteht: es beginnt zu rosten!
  • Mangelnde Grenzen: Kinder kennen von Natur aus keinerlei Grenzen. Diese müssen ihnen von den Eltern gesetzt werden, ansonsten sie wortwörtlich zu überborden drohen. Werden dem Kind keine Grenzen gesetzt, darf es also zum Beispiel beliebig herumschlagen, wird es irgendwann resignieren, da sein Wille ja ganz offensichtlich wirkungslos ist. Je nach seiner Persönlichkeit wird es aber noch weiter nach Grenzen suchen und irgendwann Risiken eingehen, die ihm gefährlich werden können, weil es zum Beispiel an Menschen in seiner Umgebung erst, die auf die Aggressionen überreagieren. Erst wenn ihm zum Beispiel gezeigt wird, dass es mit seinen Schlägen seinem kleinen Geschwister weh tut, und Sie dazu klar "Nein!" sagen, kann es sich seiner Kraft bewusst werden und lernen, konstruktiver damit umzugehen.
  • Mangelndes oder inkonsequentes "Nein!": Viele Eltern vermeiden, ihrem Kind "Nein!" zu sagen, weil sie fürchten, es zu brüskieren und als "böse" zu erscheinen. Kinder brauchen aber gerade in der Phase der Willensbildung das konsequente "Nein!", so wie sie bisher das bedingungslose "Ja" brauchten. Sie müssen also die Konfrontation eingehen, wenn der Wille des Kindes mit Ihrem zusammenstösst und lernen, auf auf allfälliges Toben angemessen zu reagieren.
  • Negatives Verwöhnen: Wenn dem Kind Wünsche zu oft und zu schnell erfüllt werden, ohne dass es einen Beitrag dafür leisten muss, wird es auf eine negative Art verwöhnt, sodass es irgendwann zu "bequem" wird, sich für etwas anzustrengen. Die Bequemlichkeit des Kindes hat ihre Ursache also nicht etwa beim Kind, sondern bei den Eltern, die ihrerseits oftmals zu bequem sind, vom Kind auch eine Gegenleistung zu fordern, oder Angst haben, dem Kind eine Anstrengung zuzumuten.
  • Nachhelfen: Wird dem Kind immer wieder nachgeholfen, obwohl es von sich aus gar nicht danach verlangt, wird sein Wille früher oder später überflüssig. Es sei denn, es protestiert dagegen und seine Eltern sind bereit, daraus zu lernen. Bleiben Sie deshalb geduldig und warten Sie, bis das Kind Sie von sich aus nach Hilfe fragt. Dazu ist es nämlich immer fähig!
  • Zu wenig Verantwortung für das Kind: Wollen und entscheiden bedeuten Verantwortung übernehmen. Wenn dem Kind zu viel Verantwortung abgenommen wird, obwohl es diese durchaus tragen könnte, wird es träge. Lassen Sie das Kind zum Beispiel nach Möglichkeit selbst entscheiden, ob es zu Fuss oder mit dem Fahrrad mit Ihnen zum Einkaufen mitkommt. Sie brauchen bloss von ihm zu fordern, dass es selbst dafür besorgt ist, dass das Fahrrad wieder zurückkommt. Je mehr das Kind selbst entscheiden darf, desto mehr ist es bereit, die Verantwortung für seine Entscheide zu übernehmen.

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Mögliche Folgen

Hat das Kind nach den beiden ersten Phasen der Erziehung bloss noch einen schwachen Willen, fehlt ihm nebst dem Selbstvertrauen die weitaus wichtigste Kraft, die es für sein Leben braucht. Denn ohne genügend Wille kann der Mensch weder seine Ziele erreichen, Entscheidungen treffen noch sein kreatives Potential entfalten, was fatale Auswirkungen auf das Leben haben kann:

  • Wenig Frustrationstoleranz: Kinder mit einem schwachen Willen geben schneller auf, wenn sie auf Widerstand stossen, sie haben "wenig Biss". Das zeigt sich vor allem in der Schule, wenn das Kind zum Beispiel Dinge lernen soll, auf die es weniger Lust hat oder beim Spielen, wenn es verliert. Für das tägliche Leben, ist aber eine gewisse Frustrationstoleranz nötig, ansonsten der Mensch gerne in Versuchung kommt, die Verantwortung für Missgeschicke oder Misserfolge auf die Umwelt abzuschieben.
  • Mangelnde Kreativität: Schöpferisch tätig zu sein, bedeutet neue Wege zu gehen, die gewissermassen noch nicht markiert und beschrieben sind. Dazu müssen Hindernisse überwunden und Risiken eingegangen werden. Fehlt der Wille dazu, wird das Kind seine Kreativität nicht voll ausleben können und eher dazu neigen, den Weg des geringsten Widerstands zu suchen, der aber selten wirklich spannend und befriedigend ist. Kreativität bezieht sich übrigens nicht bloss auf künstlerische Tätigkeiten, sondern auf alle Probleme des Menschen, die gelöst werden sollen, also insbesondere auch auf den Alltag.
  • Neigung zu süchtigem Verhalten: Wer als Kind zu wenig Grenzen erhält, sucht diese trotzdem. Und Drogen sind ein beliebtes Mittel für Grenzerfahrungen, genauso wie andere Formen von süchtigem Verhalten wie Magersucht oder Spielsucht. Dabei entsteht schnell ein Teufelskreis zwischen Sucht und zu schwachem Willen, um von dieser wieder loszukommen.
  • Neigung zum Duckmäuser: Fehlt dem Kind die Willenskraft, wird es sich nicht getrauen, sich in einer Gruppe ausserhalb der Familie mit seinen Anliegen und Ideen einzubringen, es wird schnell zum Duckmäuser. Wenn es Glück hat, trifft es auf Lehrpersonen, die es aus der Reserve locken können und ihm durch Erfolgserlebnisse Mut machen können.
  • Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit: Entscheidungen brauchen einen gewissen Mut, da der Mensch ja nie zum voraus sicher sein kann, dass er auch richtig entscheidet. Mut wiederum bedingt Willenskraft. Fehlt diese, ist der Mensch dauernd am abwägen und da er letztendlich nie sicher sein kann, vermeidet er lieber Entscheide, was wiederum leicht zur Folge haben kann, dass dann andere Leute für ihn entscheiden und er sich diesen ausgeliefert fühlt und noch mehr den Mut verliert. Der Teufelskreis ist dann perfekt. Lassen Sie deshalb das Kind möglichst immer selbst entscheiden, was es tun oder lassen will, überlassen Sie ihm aber im gleichen Zug auch mehr und mehr die Verantwortung für seine Entscheide.
  • Trötzeln, Jammern: Ein Kind, das bloss "halb will", kann für die Eltern sehr nervig sein, denn es wird immer wieder versuchen, seinen Willen zu äussern, wenn auch gewissermassen mit angezogener Handbremse. Die Ursache liegt aber nicht etwa bei ihm, sondern vielmehr bei seinen Eltern, die zuvor nicht entschieden und konsequent genug "Nein!" gesagt haben. Denn Kinder brauchen gerade in der Phase der Willensbildung Klartext, müssen also genau wissen, woran sie sind. Ist der Widerstand der Eltern zu gering, bleibt dem Kind immer noch ein Rest an Hoffnung, den es nicht einfach aufgibt, zumal es von Natur aus äusserst ausdauernd ist!
  • Depressives Verhalten: Fehlender Antrieb ist ein Hauptmerkmal bei Depressionen (wenn auch nicht zwingend die einzige Ursache).

Schliesslich ist es auch nicht so, dass der Wille einfach nicht mehr da wäre, weil er zu schwach ist. Vielmehr wird er sich andere Wege suchen, um zu wirken. Allerdings ist die Wirkung nicht mehr konstruktiver, sondern vermehrt destruktiver Art. Das kann sich dann zum Bespiel in fiesem oder hinterhältigen Verhalten, Neid und Missgunst oder gar in Selbstzerstörung und ähnlichem zeigen. Ein schwacher Wille wird nicht mehr bewusst eingesetzt, sondern es scheint vielmehr, als ob der Mensch von seinem eigenen, verkümmerten Willen gesteuert würde. Er wird deshalb unberechenbar, indem er zum Beispiel wankelmütig, zerstreut oder gar aus dem Nichts heraus jähzornig wird. Willensschwach bedeutet also im Grunde genommen nicht ein schwacher Wille, sondern dass der Mensch zu schwach ist, seinen Willen konstruktiv zu nutzen, vergleichbar mit einem schlechten Koch, der nicht fähig ist, mit seinem scharfen Messer vernünftig umzugehen: das Messer wird deswegen nicht etwa stumpf!

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

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