Verstand des Kindes

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Beim Verstand geht es im Rahmen des "Zweimalzwei der Erziehung" mehr um die geistige Erkenntnis und das entsprechende Entscheiden und Handeln, während es beim Gespür mehr um die gefühlsmässige Erkenntnis geht. Der gleichzeitige Gebrauch von Verstand und Gespür wird in diesem Zusammenhang als Vernunft bezeichnet. Das Gespür bringt das Kind schon von Geburt an mit, den Verstand erwirbt es hingegen erst nach und nach mit der Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten.

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Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten

Das Kind entwickelt seine Fähigkeiten von alleine, und zwar grundsätzlich individuell, also unabhängig von irgendwelchen Entwicklungstabellen oder gar Lehrplänen. Es braucht also weder gefördert noch motiviert zu werden, es braucht einzig das Vertrauen der Eltern, dass es das selbst tun kann. Schauen Sie ihm als geduldig und freuen Sie sich über das, was es entdeckt und zu verstehen beginnt:

Regelmässigkeiten

Einfache, sich oft wiederholende Regelmässigkeiten, wie zum Beispiel der Wechsel zwischen Tag und Nacht, verstehen Kinder sehr schnell, zumal wenn die Vorgänge noch mit dem eigenen Erleben, insbesondere dem Schlaf- und Essrhythmus, übereinstimmen. Nutzen Sie dieses Verständnis, indem Sie zum Beispiel dem Säugling das Stillen immer mit den gleichen Worten ankündigen. Solche Wiederholungen, die auch zu eigentlichen Ritualen ausgebaut werden können, bestätigen das Vertrauen des Kindes in den Lauf der Dinge und des Lebens. Und irgendwann werden Sie staunen, dass das Kind Ihnen "erklärt", dass jetzt wieder das oder jenes an der Reihe sei, worauf Sie es wieder bestätigen, sodass es sich über seine Erkenntnis freuen kann. Auf diese Weise entstehen für die Entwicklung wichtige Aufwärtsspiralen (auch "positive Rückkopplungen" genannt). Möglicherweise wird es Sie nerven, wenn das Kind zum Beispiel immer wieder das gleiche Lied singt. Das sollten Sie tolerieren können, denn es braucht vor allem anfangs viele Wiederholungen, um lernen zu können.

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Körperlichkeit

Kinder erleben die Welt zunächst vor allem körperlich, weshalb sie eben tatsächlich "mit den Händen sehen" müssen, um begreifen zu können. Auch die Verlässlichkeit der Eltern müssen sie spüren, indem sie immer wieder mal in die Arme genommen werden wollen. Mündliche Zusicherungen oder Warnungen allein genügen ihnen noch nicht. Lassen Sie Ihr Kind zum Beispiel so viel herumklettern, wie es mag, es wird selbst merken, wann es genug ist oder ihm zu gefährlich wird.

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Unmittelbarkeit

Gerade Kleinkinder können zunächst nur das wahrnehmen, was sich in ihrem unmittelbaren Erleben abspielt. Darin liegt denn auch der Grund für den Überraschungseffekt beim Verstecken spielen: verstecken Sie sich hinter etwas, sind Sie für das Kind ganz weg und es staunt zunächst einmal, dass Sie plötzlich wieder auftauchen. Das Spiel kann denn auch das Vertrauen zu stärken, indem das Kind immer wieder erlebt, dass es sich auf Ihre Rückkehr und überhaupt auf Sie verlassen kann. Die Vorstellung von Zukunft und das Interesse für die Vergangenheit entwickelt das Kind erst nach und nach, denn es lebt anfangs noch voll im Hier und Jetzt (ein Zustand übrigens, der für manche nach dem Wesentlichen suchende Menschen bloss noch dank Meditation zu erreichen ist!).

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Sprachverständnis

Sprechen Sie mit Ihrem Kind in einfachen Worten und schauen Sie es dabei an. Warten Sie nach jedem Satz und versichern Sie sich, ob das Kind verstanden hat und Ihnen antworten möchte (es braucht dazu anfangs sehr viel länger als Sie!). Die Sprache ist zunächst bloss ein zusätzlicher Kanal der Verständigung, nebst der Mimik und Gestik. Für Sie als Eltern mag es eine grosse Erleichterung sein, dass sich das Kind nun "endlich verständlich ausdrücken" kann, für das Kind hingegen ändert sich nicht so viel: Es vertraute schon seit seiner Geburt, dass es verstanden wird! Nicht nötig, beziehungsweise gar kontraproduktiv, sind grammatikalische Vereinfachungen ("Babysprache"), auch das Verständnis von "Ich" und"Du" kommt irgendwann ganz von alleine.

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Humor und Ironie

Kinder lieben Spässe. Allerdings sollten Sie sich des Unterschieds zwischen Humor und Ironie bewusst sein: Während es beim Humor darum geht, über eigene oder fremde Missgeschicke lachen zu können, baut Ironie auf Sprachwitz auf, den Kinder während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung, in aller Regel noch nicht verstehen können und bloss zu Verunsicherung führen würde. Nehmen Sie Ihr Kind deshalb zunächst einmal immer ernst, auch wenn es Ihnen lustig vorkommen mag. Manche Kinder verstehen Ironie sogar erst noch viel später. Verzichten Sie also im Zweifelsfall darauf, um nicht unnötige Verwirrung zu stiften.

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Abstraktionen

Kinder leben während den ersten Jahren noch im Konkreten, das heisst, sie können noch nicht von ihrem individuellen Erleben auf allgemeine Regeln schliessen. Das zeigt sich vor allem bei der Sprachentwicklung, wenn das Kind zum Beispiel zwischen "Ich" und "Du" unterscheiden soll, oder später gar das Konzept von "Links" und "Rechts" zu verstehen sucht. Sie brauchen ihm gar nichts zu erklären versuchen, denn alle Ihre Erklärungen sind viel zu abstrakt für das Kind. Wiederholen Sie dafür immer wieder zum Beispiel beim Schuhe anlegen, welches der rechte beziehungsweise linke Fuss ist und bestätigen Sie das Kind, wenn es irgendwann selbst die richtige Seite erkennt. Später wird es zudem von alleine verstehen, dass "Links" und "Rechts" vom Standpunkt der Betrachtung abhängt. Sprechen Sie in einfachen Worten, verzichten Sie aber auf vermeintliche sprachliche Vereinfachungen wie zum Beispiel die Wir-Form, wenn es um das Kind allein geht ("Jetzt essen wir noch den Brei."). Lassen Sie das Kind einfach durch seine eigene Beobachtung und Nachahmung selbst erfahren, was wann am besten passt, schliesslich nimmt es Sie ja grundsätzlich immer zum Vorbild, hat also schon von sich aus das Bestreben, "es richtig zu machen".

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Ursache und Wirkung

Kinder müssen zuerst mehrfach Ursache und Wirkung erfahren können, um den Zusammenhang verstehen zu können. Es bringt deshalb nichts, dem Kind erklären zu wollen, dass es zum Beispiel den Löffel, den es fallen lässt, nicht mehr aus eigener Kraft erreichen kann. Das Kind wird ihn mehrmals fallen lassen müssen, bis es den Zusammenhang verstanden hat. Sie sollten es deshalb auch nicht dauernd davor verschonen, dass es sich bei seinen Erfahrungen weh tun kann. Sie können zwar das Kind vor etwas Heissem oder Kaltem warnen, doch muss es den Brei schon mindestens einmal selbst berühren dürfen, um zu verstehen, dass er noch zu heiss ist. Trauen Sie ihm deshalb unbedingt Bagatellgefahren zu, die zwar schmerzhaft sein können, aber keine ernsthafte Verletzungsgefahr darstellen. Kann das Kind solche Zusammenhänge nicht selbst erfahren, kann es auch nicht lernen, wirkliche Gefahren richtig einzuschätzen.

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Vergangenheit und Zukunft

Kinder leben in den ersten Jahren noch voll und ganz im Hier und Jetzt, sie können sich weder die Vergangenheit noch die Zukunft vorstellen, weshalb sie sich denn auch weder für das Gestrige noch das Morgige interessieren. Bedenken Sie, dass dieser Zustand eine wunderbare Gabe ist, nach der viele Erwachsene zum Beispiel in der Meditation suchen. Halten Sie sich deshalb zurück mit Erzählungen aus der Vergangenheit des Kindes oder Ankündigungen von kommenden Ereignissen. Wenn Sie einem Kleinkind zum Beispiel sagen, dass es morgen zur Grossmutter geht, wird es das als unmittelbar folgendes Ereignis verstehen. Es genügt völlig, dass Sie ihm eine halbe Stunde vor dem Verlassen des Hauses sagen, wohin es geht. Das Leben in der Gegenwart ist auch ein entscheidender Faktor bei Themen wie Trennung, Fremdbetreuung und Wiedersehen: Wenn Sie weg sind, existieren Sie für das Kind nicht mehr. Es braucht deshalb schon ein gut entwickeltes Vertrauensverhältnis, wenn Ihr Kind Sie einfach soll loslassen können, ansonsten es sich fürchtet, für immer (!) verlassen zu werden. Erst durch vielfache Wiederholung erfährt das Kind, dass es sich darauf verlassen kann, dass Sie immer wieder kommen. Zuvor kann es sich unter dem Wiedersehen schlicht nichts vorstellen!

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Relativierungen und Differenzierungen

Für Kinder gibt es in den ersten Jahren bloss "alles oder nichts", "gut oder böse", Grauzonen sind ihnen noch fremd. Dementsprechend sollte Ihre Antwort auch immer "Ja" oder "Nein!" lauten, alles andere, das zwischen diesen beiden Polen liegt, wäre anfangs eine Überforderung. Erst wenn das Kind reif genug ist, können Sie beginnen, mit ihm über die Feinheiten des Zusammenlebens zu sprechen. Dazu gehören insbesondere Anstandsregeln, mit denen das Kind zuvor noch überfordert wäre, beziehungsweise die es bestenfalls mechanisch nachplappert, ohne den geringsten Sinn darin erkennen zu können (abgesehen davon, dass es vielleicht nach jedem "Dankeschön", das es von sich gibt, Zustimmung erhält).

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Erkennen von (künstlichen) Gefahren

Kinder haben grundsätzlich schon von Geburt an ein sehr gutes Gespür für natürliche Gefahren, hingegen sind sie mit künstlichen Gefahren, wie zum Beispiel dem Strassenverkehr, überfordert, können sie doch weder Distanzen noch Geschwindigkeiten nur annähernd richtig einschätzen. Zudem sind künstliche Gefahren meistens versteckt und häufig weder durch Lärm noch Gestank zu erkennen. Es ist deshalb entscheidend, dass sich das Kind auf Ihre Warnungen verlassen kann. Für dieses Vertrauensverhältnis sind Sie als Eltern verantwortlich. Sagen Sie deshalb zum Beispiel jedes Mal, wenn Sie mit ihm die Strasse queren, auf was Sie genau achten. So wird es mit der Zeit die Regelmässigkeit erkennen und irgendwann seinerseits Ihnen "erklären", wann die Situation sicher ist. Das bedeutet zwar noch lange nicht, dass es die Gefahr richtig einschätzen könnte, es zeigt einzig, dass es sich auf Ihre Regeln verlässt, was zumindest ein Mindestmass an Sicherheit schafft, wenn es später allein unterwegs ist.

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Verstand und Gespür

Während das Kind bereits bei seiner Geburt ein Gespür hat, muss es den Verstand erst noch entwickeln. Für gute Entscheidungen sind aber beide Funktionen gleich wichtig und im Idealfall decken sich die gefühlsmässigen Empfindungen des Menschen mit seinen verstandesmässigen Überlegungen. Eltern können zu diesem Gleichgewicht sehr viel beitragen, wenn sie einerseits nach den Gefühlen des Kindes fragen und andererseits das Kind möglichst viele Erfahrungen selbst machen lassen. So kann das Kind lernen, beide Funktionen zu gebrauchen und muss sich später nicht mit der Frage quälen, ob es "eher auf den Bauch oder eher auf den Kopf hören" soll. Denn Verstand und Gespür sollten keine Gegenspieler sein, sonder möglichst harmonisch zusammenspielen.

Die anfangs erst nach und nach entwickelten kognitiven Fähigkeiten verleiten Eltern häufig zur Annahme, dass das Kind nicht genügend verstehen würde. Das trifft aber eben nur auf das intellektuelle Verstehen (also den Verstand), nicht aber auf das gefühlsmässige Verstehen (also das Gespür). Zudem ist dieses Ungleichgewicht bei den Eltern gerade umgekehrt, ist doch deren Gespür meistens schon ziemlich verkümmert. Gehen Sie deshalb davon aus, dass Ihr Kind mindestens gleich viel versteht wie Sie, einfach auf einem anderen Weg. Sie brauchen bloss darauf zu achten, dass Sie in einfachen Worten sprechen und dass diese Worte auch dem entsprechen, was Sie meinen und fühlen. Denn was das Kind tatsächlich nicht verstehen kann, sind Doppelbotschaften (die im übrigen auch unter Erwachsenen für Verwirrung sorgen!): Unterscheidet sich der Sinn Ihrer Worte von dem, was Sie denken oder fühlen, wird es sich im Zweifel eher auf sein Gespür verlassen, während Sie in der Folge irrigerweise meinen, das Kind höre Ihnen nicht richtig zu oder es verstehe halt einfach nicht. Bevor sich das Kind mit Worten ausdrücken kann, können Sie es zudem als Chance betrachten, Ihr eigenes Gespür gewissermassen zu reaktivieren, indem Sie zum Beispiel vermehrt auf die Mimik oder Gestik achten.

Wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Kind grundsätzlich mindestens so viel versteht wie Sie, wird Ihnen schliesslich klar, weshalb Sie sich davor hüten sollten, in dessen Anwesenheit über es und sein Verhalten zu diskutieren. Es versteht nämlich sehr wohl, um was es dabei geht! Und welcher Erwachsene würde es schon schätzen, dass in seiner Anwesenheit über ihn diskutiert würde? Die Metaebene, also das Gespräch über die Erziehung, sollten Sie deshalb unbedingt und immer in Abwesenheit des Kindes führen!

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Weiterführende Themen

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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