Sucht

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Die wesentlichen Voraussetzungen für süchtiges Verhalten werden in den ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung gelegt. Oder positiv ausgedrückt: Wenn das Kind in den ersten Jahren das erhält, was es wirklich braucht, wird es später kaum nach Ersatzbefriedigung suchen müssen. Und Ersatzbefriedigung ist gewissermassen der Nährboden für süchtiges Verhalten.

Süchtig kann der Mensch nicht nur von Drogen im engeren Sinn (von Alkohol und Nikotin über Medikamente bis hin zu illegalen Substanzen) werden, sondern auch von vermeintlich harmlosen Substanzen wie Zucker, aber auch von bestimmten Verhaltensweisen wie Glücksspiel, Pornographie, übermässigem Konsum von Unterhaltungselektronik oder Selbstverletzungen, Essstörungen usw. Aus erzieherischer Sicht sind diese Unterscheidungen, abgesehen von allfälligen strafrechtlichen Konsequenzen, unerheblich, da die Ursachen der Sucht grundsätzlich immer die gleichen sind!

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Mögliche Ursachen

Die Grundlage für süchtiges Verhalten wird regelmässig lange vor dem allfälligen Beginn des Konsums von Drogen gelegt, nämlich in den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung. Wenn das Kind nach dieser Zeit genügend reif ist, also ein gesundes Selbstvertrauen hat und Grenzen respektieren kann, ist die Gefahr klein, dass es später als Jugendlicher einen Ersatz in Drogen sucht und süchtig wird. Fehlt ihm hingegen dieses Reife, wird es eine Sehnsucht danach entwickeln, die leicht zu süchtigem Verhalten führen kann. Denn beim Drogenkonsum geht es, von der reinen Neugier oder Gruppendruck einmal abgesehen, letztlich um zwei Dinge:

  • die Erfüllung einer Sehnsucht durch einen Rauschzustand oder
  • das Überschreiten von Grenzen, insbesondere des Bewusstseins,

beziehungsweise beides zusammen. An sich sind beide Ziele durchaus legitim, die Frage ist bloss, mit welchen Mitteln und Nebenwirkungen sie erreicht werden, kann doch beides zum Beispiel auch in der Musik oder mithilfe von Meditation erlebt werden. Gefährlich wird es dann, wenn die erzeugten Illusionen nicht mehr als solche erkannt werden und entsprechende Enttäuschungen folgen.

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Phase der Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Während der Phase der Vertrauensbildung entwickeln Kinder Selbstvertrauen in dem Masse, wie ihre Eltern ihnen, beziehungsweise ihren Grundbedürfnissen und Fähigkeiten, vertrauen:

Unbefriedigte Grundbedürfnisse

Während der Phase der Vertrauensbildung sollten alle Grundbedürfnisse möglichst immer und sofort befriediget werden. Dabei geht es nicht bloss um Nahrung und Kleidung, sondern vor allem um Geborgenheit und Trost. Wenn diese Bedürfnisse nicht ausreichend befriedigt werden, insbesondere das Kind in seinem Kummer nicht wirklich getröstet wird, wird sein von Geburt an vorhandenes Vertrauen in seine Eltern und überhaupt in das Leben nicht bestätigt. Entsprechend kann es nicht genügend Selbstvertrauen entwickeln. Anstelle des Selbstvertrauens tritt dann eine Sehnsucht, die es mit dem zu befriedigen versucht, das ihm gerade angeboten wird (das kann zu Beginn "bloss" ein Übermass an Süssigkeiten oder Unterhaltungselektronik sein, später aber eben auch anderes, weit Gefährlicheres). Eine solche Ersatzbefriedigung ist dann die beste Grundlage für späteres Suchtverhalten. Besondere Vorsicht ist deshalb beim Thema Trost geboten: Wenn zum Beispiel dem weinenden Kind einfach der Schnuller oder die Aussicht auf ein neues Spielzeug hingehalten wird, statt dass es gehalten wird und ihm Zeit zum ausweinen geschenkt wird, wird es diesen fatalen Mechanismus sehr schnell verinnerlichen. Und der Jugendliche wird sich später, wenn er selbst entscheiden kann, genau gleich verhalten und zum Beispiel den Verlust der Freundin mit Alkohol wegschwemmen, statt sich mit einem guten Freund auszutauschen.

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Mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten

Desgleichen müssen die Eltern lernen, den Fähigkeiten des Kindes zu vertrauen, ansonsten es sich seinerseits zu wenig zutraut. Traut das Kind seinen eigenen Fähigkeiten zu wenig, wird es einen Ersatz suchen, der ihm wenigstens die Illusion gibt, dass es sich selbst verwirklichen kann. Beliebt sind zum Beispiel Phantasie-Figuren mit übermenschlichen Kräften. Solche Spielzeuge wirken kontraproduktiv, da das Kind die eigenen Stärken nicht mehr in sich selbst sucht, sondern in einem Ersatzprodukt. Die Sehnsucht nach Trost und Selbstverwirklichung kann äusserst schmerzhaft sein, sodass die Versuchung früher oder später gross wird, den Schmerz mittels Drogen zu betäuben oder die Selbstverwirklichung im Rausch zu suchen. Da das Problem damit nicht gelöst wird, beziehungsweise Illusionen entstehen, führt solches Verhalten schnell in einen Teufelskreis, der schliesslich zu Sucht führen kann.

Ein Kind hingegen, das genügend Selbstvertrauen entwickeln konnte, wird in erster Linie auf seinen eigenen Fähigkeiten aufbauen und kommt später nicht so schnell in Versuchung, seine Ziele mit Hilfsmitteln, wie eben Drogen, zu erreichen. Eltern müssen also zunächst lernen, den Grundbedürfnissen und Fähigkeiten des Kindes zu vertrauen. Denn je grösser das Vertrauen der Eltern in das Kind, desto grösser wiederum dessen Selbstvertrauen. Ein gesundes Selbstvertrauen wird dem Kind ermöglichen, seinen eigenen Fähigkeiten zu vertrauen, um Probleme zu lösen, statt "Hilfe" in Drogen zu suchen.

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Phase der Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, braucht es nicht nur Vertrauen, sondern vermehrt Herausforderungen und Grenzen. Es will seine Kräfte messen und erfahren, zu was es alles fähig ist. Energie und Wille haben Kinder in diesem Alter in Hülle und Fülle. Es liegt deshalb an Ihnen als Eltern, "Nein!" zu sagen, wenn es zu weit geht. Es muss dabei Ihren Widerstand spüren, indem Sie laut und deutlich werden. Diese Erfahrung von Grenzen ist enorm wichtig, um den Umgang mit Gefahren lernen zu können. Werden dem Kind Herausforderungen oder Grenzen verwehrt, wird es diese ausserhalb Ihres Einflussbereichs suchen müssen und früher oder später auch finden:

Zu wenige Herausforderungen

Herausforderungen sind sozusagen die Nahrung für den Willen des Kindes. Wenn es zum Beispiel lernen will, Fahrrad zu fahren, wird es von sich aus so lange ausprobieren, bis es klappt. Helfen Sie ihm dabei nur, nachdem Sie es gefragt haben, ob es Hilfe braucht. Manche Kinder können richtig wütend werden, wenn ihnen unaufgefordert nachgeholfen wird. Das ist gut so, denn es ist ein Zeichen der gesunden Entwicklung, wenn ein Kind möglichst alles selbst tun will! Wenn Sie ihm hingegen Ihre Hilfe immer wieder aufdrängen, wird es im schlimmsten Fall resignieren und sich daran gewöhnen, dass es fremde Hilfe benötigt, um seine Ziele zu erreichen. Das wäre dann die beste Voraussetzung um abhängig zu werden, sei es von anderen Menschen, sei es von Drogen, die süchtig machen können.

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Mangelndes Gespür für Grenzen

Der Wille des Kindes kann in diesem Alter sehr leicht der das Ziel hinaus schiessen, sodass ihm entweder selbst Gefahren drohen oder es seine Eltern und überhaupt seine Umwelt übermässig beeinträchtigt. Als Eltern müssen Sie deshalb lernen, dem überbordenden Kind konsequent "Nein!" zu sagen. Kinder müssen Grenzen in diesem Alter förmlich spüren, manchmal sogar körperlich (was selbstverständlich nicht heisst, dass Sie Gewalt anwenden sollen!). Dabei müssen Sie in Kauf nehmen, dass sich das Kind gelegentlich weh tun kann. Behüten Sie es nicht vor jedem Schmerz, denn es lernt daraus. Kinder brauchen nicht Schutz vor jeder Bagatellgefahr (Gefahren ohne wirklich Verletzungsgefahr), sie brauchen einzig Trost, wenn sie sich weh getan haben. Der Schmerz zeigt dem Kind, dass es eine Grenze überschritten hat. Diese Erfahrung ist entscheidend, wenn es sein von Natur aus vorhandenes Gespür soll behalten können, um später von sich aus die Grenzen zum Beispiel des Drogenkonsums wahrnehmen zu können. Gehen Sie mit ihm also in den Wald, wo es seinen Mut unter Beweis stellen kann oder muten Sie ihm zu, Ihre schweren Einkäufe zu tragen. Wenn das Kind in dieser Phase positive Grenzerfahrungen macht, kommt es später viel weniger in Versuchung, mit Drogen oder Gewalt zu testen, "wieviel es verträgt".

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Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

In der Regel wird das Thema Sucht für die Eltern erst ab der Pubertät aktuell, wenn das Kind zum Beispiel Essstörungen entwickelt, sich nur noch mit Unterhaltungselektronik beschäftigt oder mit Drogen in Kontakt kommt. Dann ist es aber meistens schon viel zu spät mit der Suchtprävention, denn die Voraussetzungen für süchtiges Verhalten wurden regelmässig schon in den beiden Phasen zuvor geschaffen, was sich die Eltern im nachhinein aber selten bewusst werden. Die Problematik wird noch dadurch verschärft, dass sich Jugendliche in dieser Phase weniger die Eltern zum Vorbild nehmen, als mehr und mehr ihr Umfeld aus der Schule oder Freizeit, sodass der erzieherische Einfluss nochmals reduziert wird.

Thematisierung und Aufklärung

Trotzdem muss zumindest das Thema Drogen natürlich thematisiert werden. Am besten tun Sie das gleich am konkreten Beispiel, also wenn Sie zum Beispiel ein Bier trinken oder eine Zigarette rauchen. In der Regel fragen Kinder schon aus reiner Neugier und von sich aus, was denn das Gute an all diesen Dingen sei, die nur für Erwachsene gedacht sind. Das beinhaltet nicht nur die Chance zur Aufklärung über Drogen, sondern auch für Sie die Chance Ihren eigenen Konsum allenfalls zu überdenken. Von illegalen Drogen sind die meisten Eltern allerdings ziemlich weit weg, sodass die Schule, beziehungsweise von ihr beauftragte Fachleute, meistens besser für eine sachliche Aufklärung geeignet ist.

Eher hilflos wirken Versuche, Jugendlichen zu motivieren, doch mit Problemen einfach zu ihren Eltern zu kommen, bevor sie süchtig werden, war doch meistens eben gerade das Verhalten dieser in den ersten Jahren Ausgangspunkt der Probleme. Gar kontraproduktiv wirken Verbote und Strafen: diese würden Drogen erst recht attraktiv machen, da Jugendliche so erstens merken, dass sie sich damit von den Eltern abgrenzen können und zweitens nur allzu gerne Mittel und Wege zur Umgehung suchen und finden.

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Neugier und Gruppendruck

Die natürliche Neugier von Kindern kann auch zum Ausprobieren von (illegalen) Drogen verleiten. Durfte der Jugendliche aber als Kind bereits erfahren, dass die Neugier auch schmerzhaft sein kann, wurde er also nicht überbehütet, wird er genügend vorsichtig sein und zum Beispiel aus dem ersten "Jugendrausch" entsprechende Lehren ziehen. Und auch dem Gruppendruck beugen sich eher Jugendliche, die nicht genügend Selbstvertrauen aufbauen konnten, während reife Jugendliche die Kraft haben, sich zu lösen und Alternativen zu suchen.

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Vorbild Eltern

Schliesslich sollten Sie sich bewusst sein, dass Sie unweigerlich Vorbild für Ihre Kinder sind, und zwar im Positiven wie im Negativen. Süchtiges vErahtlen wird also gerne "vererbt". Dabei hilft es auch nicht, dass Sie zum Beispiel heimlich rauchen, haben Kinder doch ein sehr feines Gespür für solche Schummeleien, sodass bestenfalls Doppelbotschaften entstehen.

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Prävention und Verantwortung

Die Grundlagen für süchtiges Verhalten werden also weitgehend in den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung geschaffen. Die Erziehungsfehler mögen in diesem Alter zwar noch harmlos erscheinen (wie zum Beispiel Süssigkeiten anstelle von wirklichem Trost oder das Ablenken mit Unterhaltungselektronik anstelle des Einbezugs des Kindes in den elterlichen Alltag), doch ist es genau diese Art von Ersatzbefriedigung, die den Nährboden für süchtiges Verhalten schaffen.

Wenn das Kind hingegen genügend Selbstvertrauen und ein Gespür für Grenzen entwickeln konnte, dürfen Sie als Eltern weitgehend beruhigt sein. Ihr Kind wird zwar, gerade in der Pubertät, das eine oder andere ausprobieren und auch die Grenzen des Erträglichen suchen, doch wird es genügend reif sein, um selbst beurteilen zu können, was ihm gut tut und was nicht. Selbstverständlich bleibt ein Restrisiko, zumal es suchterregende Substanzen gibt, die schon beim ersten Mal höchst gefährlich sein können. Doch müssen Sie als Eltern irgendwann auch anerkennen, dass Ihr Kind eine eigene Verantwortung für sein Leben hat und Ihr Einfluss schon nach wenigen Jahren der Erziehung rapide abnimmt.

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Exkurs: Kritik an der Politik

Eltern können durch ihre Erziehungsarbeit sicherlich den weitaus wichtigsten Teil der Prävention gegen Sucht leisten, wenn sie während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung die Grundlagen legen. Doch sind sie und ihre Kinder der Schwemme an heutzutage verfügbaren (legalen und illegalen) Drogen letztens Endes trotzdem ein Stück weit wehrlos ausgeliefert. Solange es die Politik, nicht zuletzt auf wirtschaftlichen Druck hin, versäumt, den Drogenmarkt wirkungsvoll zu regulieren, werden viel zu viele Jugendliche den Verlockungen erliegen und ein allzu grosser Teil verfällt der Sucht. Die Gesellschaft muss sich die Frage stellen, ob sie bereit ist, all das Leid und die damit verbundenen immensen Kosten in Kauf zu nehmen.

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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