Liebesentzug

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Während das Kind bei seiner Geburt sozusagenn pure Liebe ist, müssen Eltern häufig erst noch lernen, diese Liebe anzunehmen. Das "Zweimalzwei der Erziehung" betrachtet Liebe weniger als Gefühl, denn mehr als Fähigkeit, in einer Beziehung einerseits bedingunslos "Ja" sagen zu können und andererdseits wenn nötig, auch konsequent "Nein!" zu sagen. Als Liebesentzug wird deshalb ein mangelndes Vertrauen der Eltern in das Kind oder mangelnder Widerstand der Eltern gegen den Willen des Kindes verstanden. Man könnte auch von einer mangelnden Bereitschaft zu Beziehung sprechen. Der Liebesentzug in der Eziehung kann offensichtlich sein, häufig ist er aber sehr subtil und nicht auf den ersten Blick als solchen erkennbar.

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Formen des Liebesentzugs

Phase der Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Gegenseitiges Vertrauen ist die Grundlage jeder Beziehung. In der Erziehung ist die Ausgangslage aber noch einseitig: Während das Kind bereits mit einem grenzenlosen Vertrauen in seine Eltern zur Welt kommt, müssen diese meistens erst noch lernen, dem Kind, beziehungsweise dessen Grundbedürfnissen und Fähigkeiten, zu vertrauen. Tun sie das zu wenig, ist das eben ein Liebesentzug, so zum Beispiel:

  • Eingeschränktes "Ja": Während der Phase der Vertrauensbildung sollten Sie wann immer möglich uneingeschränkt "Ja" zu Ihrem Kind sagen, denn das Kind hat in dieser Zeit ausschliesslich Grundbedürfnisse, die möglichst immer und sofort befriedigt werden sollten. Gerade in der Phase der Vertrauensbildung braucht das Kind zum Besipiel sehr viel Beachtung. Erhält es zu wenig, wird es das als Liebesentzug empfinden und umso mehr und länger danach verlangen, da es dauernd fürchtet, Ihre Liebe zu verlieren. Sie sollten deshalb dem Kind möglichst so viel Beachtung schenken, wie es verlangt. Sie werden dafür "belohnt", indem das Kind umso schneller selbständig wird!
  • Ignorieren: Kinder brauchen sehr viel Aufmerksamkeit und können diese lauthals fordern. In solchen Momenten müssen Sie zumindest reagieren, um dem Kind zu versichern, dass Sie noch für es da sind. Wenn Sie ein schreiendes Kleinkind einfach ignorieren, fühlt es sich verloren - und zwar gänzlich, denn es kann noch nicht wissen, dass sein Leid eigentlich völlig harmlos ist und schon bald wieder vorbei ist. Sein Leid und seine Ängste sind in diesem Alter immer existenziell, das heisst, in seinem Empfinden, das einzig das Hier und Jetzt kennt, geht es sofort um das Überleben. Da hilft einzig sofortiger und wirklicher Trost, ansonsten sein natürliches Vertrauen in seine Eltern und überhaupt in das Leben gestört werden.
  • Zu wenig Zutrauen: Trauen Sie Ihrem Kind alles zu, was es von sich aus ausprobieren will. Kinder entwickeln ihre Fähigkeiten immer dann, wenn sie diese brauchen, und zwar von alleine. Beginnt das Kind zum Beispiel zu sprechen, verlangt das von den Eltern zunächst einiges an Geduld, ihm so lange zuzuhören, bis sie es verstanden haben. Wird das Kind dabei unterbrochen oder werden ihm die Sätze zu schnell fertig gesprochen, ist das ein Liebesentzug, da ihm nicht zugetraut wird, es selbst zu können.
  • Mangelnder Trost: Was immer Kindern an Leid oder Kummer zustossen mag, der elterliche Trost hilft immer! Der Trost muss aber immer sofort und bedingungslos kommen. Wird das Kind zum Beispiel zu wenig getröstet, weil die Eltern der Meinung sind, es sei doch "selbst schuld, da es sich trotz ihrer Warnung weh getan hat", ist das ein Liebesentzug. Denn Trost sollte bedingungslos sein.
  • Mangelnde Verlässlichkeit: Kinder müssen sich auf ihre Eltern verlassen können. In den ersten Jahren bedeutet das vor allem, dass Sie bei Ihrem "Ja" oder "Nein!" bleiben müssen und sich selbst auch an die Regeln halten, ansonsten das Kind das Vertrauen in Sie rasch zu verlieren droht, da es Ihnen offenbar gleichgültig ist. Noch schlimmer sind übrigens leere Drohungen.
  • Verlassen: Die extremste Form des Liebesentzugs ist offensichtlich das Verlassen des Kindes. Dabei spielt es zumindest in dieser Phase keine Rolle, aus welchem Grund das Kind verlassen wird: Es würde diesen sowieso nicht verstehen! Kinder leben in dieser Zeit noch voll und ganz im Hier und Jetzt, können sich also noch nicht vorstellen, dass Sie schon bald wiederkommen oder einen guten Grund für die Abwesenheit haben. Auch wenn Sie "bloss kurz weg" sind, sind Sie es für das Kind zunächst ganz und für immer! Kinder müssen deshalb immer wieder in kleinen Schritten erfahren können, dass Sie wiederkommen (wie zum Beispiel beim Verstecken spielen). Daran sollten Sie vor allem denken, wenn es um Fremdbetreuung geht.

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Phase der Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Interessanterweise geschieht Liebesentzug am häufigsten, wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, also etwa ab dem dritten Lebensjahr. Denn jetzt müssen Eltern lernen, dem Willen des Kindes Widerstand zu leisten, indem sie es fordern und ihm auch "Nein!" sagen. Manchen Eltern fällt das nicht so leicht, da sie einem der grössten Missverständnisse in der Erziehung unterliegen, nämlich, dass ein "Nein!" hart und abweisend sei. Dabei ist es genau umgekehrt: Sie setzen zwar eine (notwendige) Grenze, doch sind es eben genau Grenzen, die nicht bloss trennen, sondern auch verbinden! Stellen Sie sich zum Verständnis zwei Länder mit einer gemeinsamen Grenze vor: ihre Territorien berühren sich genau dort, wo ihre gemeinsame (!) Grenze ist. Beziehung bedingt also Kontakt, wozu man aber wissen muss, wie weit man gehen darf, um den anderen nicht zu verletzen.

  • Inkonsequentes "Nein!": In Beziehungen, ganz besonders in der Erziehung, schaffen Sie mit einem klaren "Nein!" Kontakt. Wenn das Kind Sie zum Beispiel schlagen will, weil es sich mit seinen Worten noch nicht durchsetzen kann, müssen Sie ihm in die Augen schauen und laut und deutlich "Nein!" sagen. Wenn Sie sich stattdessen einfach abdrehen und versuchen, die Schläge zu ignorieren oder gar zu verspotten, verweigern Sie ihm den Kontakt, was eben ein Liebesentzug ist. Allerdings ist es regelmässig so, dass sich Eltern nur dann getrauen konsequent "Nein!" zu sagen, wenn sie zuvor ebenso klar "Ja" sagen konnten, ansonsten die Vertrauensbasis fehlt und schnell die Befürchtung entsteht, die Zuneigung des Kindes zu verlieren.
  • Unterforderung: Kinder brauchen in dieser Phase besonders viel Herausforderungen, sie wollen erfahren können, was sie mit der Kraft des Willens alles erreichen können. Muten Sie deshalb dem Kind zunächst alles zu, was es von sich aus in Angriff nimmt. Wenn es Ihnen zum Beispiel den Kaffee machen will, zeigen Sie ihm, wie die Maschine funktioniert (insbesondere, welche Griffe es tätigen muss, ohne sich zu verbrennen), auch wenn Sie eigentlich wissen, dass es vielleicht für einzelne Griffe noch zu wenig Kraft hat. Helfen Sie erst dann nach, wenn es Sie darum bittet beziehungsweise fragen Sie zuerst, ob Sie helfen sollen.
  • Mangelnder Widerstand: Kinder wachsen am Widerstand der Eltern. Wenn Sie zum Besipiel dem Kind Wünsche zu schnell erfüllen, also ohne von ihm etwas zu fordern, wird es auf eine negative Art verwöhnt.
  • Strafen: Eltern, die Mühe haben dem Kind Grenzen zusetzen, kommen gerne in Versuchung das Kind zu strafen oder damit zu drohen (was im übrigen noch kontraproduktiver ist!). Mit Strafen wird das Kind aber abgestossen, es findet kein Kontakt statt (ausser natürlich bei der Züchtigung, die aber endgültig nicht mehr zur Diskussion stehen sollte). Wird ein Kind zum Beispiel weggesperrt, wird es von seinen Eltern nicht bloss verlassen, es wird ihm damit auch noch die Möglichkeit genommen, sich dagegen zu wehren.
  • Verweigerte Versöhnung: Dass der anfangs noch ungestüme Wille des Kindes mit dem seiner Eltern kollidieren kann, ist normal. Als Eltern müssen Sie diese Konfrontationen annehmen und lernen, auf allfälliges Toben des Kindes angemessen zu reagieren. Dazu gehört insbesondere, dass Sie sich danach wieder mit dem Kind versöhnen. Wird das Kind zurückgewiesen ("Jetzt musst Du auch nicht mehr kommen!") oder gar verspottet ("Bist Du jetzt wieder etwas vernünftiger geworden?"), wird es sich nicht mehr geliebt fühlen.
  • Verlassen: Die extremste Form des Liebesentzugs ist offensichtlich das Verlassen des Kindes. Manche Eltern kommen gerade dann in Versuchung, ihr Kind zu verlassen, wenn es deren Beistand eigentlich am nötigsten hätte, nämlich wenn es zu toben beginnt, weil seine Absichten mit denen der Eltern kollidierten. Wenn ein Kind tobt, müssen Sie erst recht zu ihm stehen: Bleiben sie ruhig neben ihm (berühren oder reden helfen in der Regel nicht, ganz im Gegenteil) und warten Sie, bis sich das Kind ausgetobt hat und Sie sich wieder mit ihm versöhnen können. Keinesfalls dürfen Sie es in solchen Momenten verlassen, denn es will auch in solchen, schwierigen, Situationen von Ihnen spüren, dass es geliebt wird! Es muss erfahren können, dass es zwar einen eigenen Willen haben darf, dieser aber an Grenzen stossen kann, seine Eltern aber trotz allem immer noch zu ihm stehen. Daraus wird es enorm viel für sein Leben lernen können. Entfernen Sie sich hingegen, womöglich noch mit einer spöttischen Bemerkung ("Du kannst dann kommen, wenn Du wieder vernünftig bist.") wird es sich für eine seiner weitaus wichtigsten Kräfte, nämlich seinen Willen, abgelehnt und gestraft fühlen. Sie sollten also unbedingt lernen, angemessen auf das Toben zu reagieren.

Der Liebesentzug während der Phase der Willensbildung ist nicht immer so einfach als solchen zu erkennen. Häufig ist das Verhalten der Eltern zwar "gut gemeint", hat aber eigentlich wenig mit Liebe zu tun. Denn Liebe erschöpft sich nicht bloss in Zuneigung und Verständnis, sondern bedeutet auch Arbeit, insbesondere die Auseinandersetzung mit Widerstand!

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Mögliche Folgen

Es ist selbstredend, dass dem Kind das Wesentlichste überhaupt fehlt, wenn ihm die elterliche Liebe entzogen wird. Dabei sollten Sie sich bewusst sein, dass das Kind seinerseits mit reiner Liebe geboren wurde und zumindest in den ersten, alles entscheidenden Jahren nichts und niemanden so sehr liebt, wie seine Eltern. Wird dem Kind zu wenig Vertrauen in seine Grundbedürfnisse oder Fähigkeiten geschenkt oder wird seinem Willen zu wenig Widerstand geleistet, wird auch das Ziel der Erziehung sehr schnell infrage gestellt:

  • Mangelnde Selbständigkeit: Das Selbstvertrauen gewinnt das Kind aus dem Vertrauen seiner Eltern. Hat das Kind zu wenig Selbstvertrauen, wird es seine Fähigkeiten nicht genügend entwickeln können und sich selbst zu wenig zutrauen. Es bleibt abhängig von seinen Eltern oder später von anderen Menschen.
  • Mangelnde Beziehungsfähigkeit: Nur wenn das Kind seinen Willen gewissermassen kultivieren kann, kann es auch den nötigen Respekt gegenüber seinen Mitmenschen entwickeln. Dafür sind die Eltern verantwortlich, indem sie dem Kind genügend Herausforderungen bieten und auch Grenzen setzen. Fehlt dem Kind das Gespür für Grenzen, wird es in Beziehungen Schwierigkeiten haben.

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Mögliche Ursachen

Die Ursache des Liebesentzugs liegt regelmässig in einem zu schwachen Selbstvertrauen der Eltern oder einem zu schwachen Willen der Eltern (oder beides), also in den beiden wichtigsten Erziehungskompetenzen (und zugleich wichtigsten Kräften des Menschen überhaupt):

  • Mangelndes Selbstvertrauen: Nur wer sich selbst vertraut, kann auch anderen Menschen vertrauen. Das Vertrauen der Eltern ist aber die Grundlage der Beziehung zum Kind und somit der Erziehung. Idealerweise bringen Eltern genügend Selbstvertrauen mit, das heisst, sie erlebten ihrerseits schon Eltern, die Wert auf diese nebst dem Willen wichtigste Kraft des Menschen legten. Nachträglich Selbstvertrauen zu gewinnen, ist gar nicht so einfach, allerdings können Sie gerade in der Erziehung sehr viel von Ihren Kindern lernen: Beobachten Sie bloss einmal, was sich Kinder alles zutrauen, ohne Angst zu versagen oder etwas zu verlieren!
  • Mangelnder Wille: Die nebst dem Selbstvertrauen wichtigste Kraft des Menschen ist ein möglichst freier Wille, also ein Wille, der nicht bloss egoistisch die eigenen Ziele verfolgt, sondern auch die Mitmenschen und die Umwelt respektiert. Eltern brauchen diesen Willen, um mit dem ihrer Kinder klarzukommen. Sie müssen Widerstand leisten und "Nein!" sagen können.

Es ist offensichtlich, dass dieser Mangel der Eltern nicht von ungefähr kommt, sondern seinerseits den Ursprung in deren Kindheit hat. Die Erziehung von Kindern birgt die grosse Chance, sich solchen Zusammenhängen bewusst zu werden und etwas zu ändern. Mit dem, was Sie selbst als Kind erlebt haben, können Sie sich zwar noch versöhnen, doch ändern können Sie nur noch das, was Sie mit Ihren Kindern selbst tun.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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