Autonomiephase

Aus 2 x 2
(Weitergeleitet von Kleine Autonomiephase)
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Autonomie bedeutet Selbständigkeit, also das eigentliche Ziel der Erziehung:

  • Schon wenn das etwa einjährige Kind zu laufen beginnt, ist das entscheidender Gewinn an Autonomie: Sein Aktionsradius wird auf einen Schlag bedeutend grösser und entsprechend auch sein Anspruch auf Selbständigkeit. Man könnte auch von einer "kleinen Autonomiephase" sprechen.
  • Doch erst etwa im dritten Lebensjahr macht das Kind den alles entscheidenden Schritt: es beginnt seinen Willen zu entwickeln. Diese Phase wird häufig - und mit einem eher abwertenden - Unterton als "Trotzphase" bezeichnet.
  • Die endgültige Autonomie kommt dann mit der Pubertät (und dem darauf folgenden Auszug). Allerdings sollte diese Phase für die Erziehungsarbeit der Eltern keine grosse Bedeutung mehr haben, denn dieser Schritt sollte der Jugendliche nun definitiv alleine meistern können. Bezeichnend dafür ist denn auch, dass in diesem Alter jegliche Art von Hilfe seitens der Eltern vom Jugendlichen regelmässig und strikt abgelehnt wird. Und das ist auch gut so!

Wenn das Kind selbständig wird, ist das natürlich nur das Beste, was Ihnen als Eltern passieren kann! - Allerdings verbirgt sich da auch die eine oder andere Herausforderung:

^ nach oben

Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Am einfachsten ist die "kleine Autonomiephase" zu meistern, wenn das Kind also zu laufen beginnt (und/oder zu sprechen): Die Eltern freuen sich über die grossartige Leistung ihres Kindes - und mehr braucht es eigentlich auch gar nicht. Viele Eltern kriegen es aber auch sogleich mit der Angst zu tun, denn das Kind kann sich nun mehr und mehr ihrer Kontrolle entziehen. Gewiss gibt es, gerade in unserer westlichen Zivilisation, auch eine ganze Menge Gefahren (von der Steckdose über den Strassenverkehr bis zu Mitmenschen, denen man nicht ohne weiteres trauen kann), vor denen Sie das Kind schützen müssen.

Für die Vertrauensbildung ist es aber entscheidend, dass Sie dem Kind möglichst alle Freiheiten lassen: Bewegungsdrang ist ein Grundbedürfnis! Das Kind sollte möglichst alles ausprobieren dürfen, wonach es gerade Lust hat. Das gilt gerade auch, wenn es zu Beginn des Laufenlernens noch öfters hinfällt oder sich den Kopf anschlägt. Das ist alles halb so schlimm, denn das Kind ist für solche Missgeschicke bestens gepolstert und kann auch mit Schmerzen bestens umgehen - Vorausgesetzt, dass Sie es als Eltern immer und genügend trösten! Das heisst das Kind die Armen nehmen und ruhig bleiben bis es sich ausgeweint hat. Denn Trost ist eines der wichtigsten Grundbedürfnisse des Kindes überhaupt! Gerade in den beiden ersten Jahren braucht es weder Begründungen noch Zurechtweisungen oder gar Vorwürfe.

In den ersten Jahre lernt das Kind zudem unglaublich viel Neues (um nicht zu sagen, mehr als während des ganzes Rests seines Lebens). Dazu muss es ausprobieren und entdecken können, also selbst erfahren dürfen. Lassen Sie in dieser Zeit so viel wie möglich zu! In der Phase bevor das Kind seinen Willen zu entwickeln beginnt, ist das eine Art positives Verwöhnen. Je mehr Sie dem Kind und seinen Ideen vertrauen, desto mehr wird es sich bestätigt fühlen und entsprechend Selbstvertrauen entwickeln können.

^ nach oben

Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Die grosse Herausforderung für Eltern beginnt regelmässig mit der Willensbildung: Häufig von einem Tag auf den anderen Tag sagt das Kind "Nein!" oder "Ich will aber!". Das ist vergleichbar mit dem Küken im Ei, das plötzlich und wie wild beginnt, die Schale zu durchschlagen, von der es bis anhin so gut beschützt wurde (und in der es sich absolut ruhig verhielt). Die frisch erwachte Willenskraft des Kindes ist enorm und scheint häufig kaum zu bändigen. Als Eltern sollten Sie sich deshalb schon vorher möglichst gut vorbereiten, sodass Sie zumindest wissen, um was es eigentlich geht und dass Ihr Kind, gerade weil es tobt, völlig normal und gesund ist! Angemessen zu reagieren, das heisst dem Kind Grenzen zu setzen, werden Sie hingegen erst nach und nach lernen, denn das ist tatsächlich nicht ganz so einfach und gelingt selten auf Anhieb:

  • Der Wille ist die wichtigste und wertvollste Kraft des Menschen überhaupt: Das Sprichwort "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg" dürfen, ja sollen Sie durchaus wörtlich nehmen. Wenn ein Kind all seine Fähigkeiten, die in ihm schlummern, für sich und seine Umwelt nutzbringend entwickeln soll, braucht es den Willen dazu, ansonsten all seine Talente und sein kreatives Potential brachliegen würden. Der Wille muss allerdings zuerst gewissermassen kultiviert werden, ansonsten die Gefahr besteht, dass der Wille rücksichtslos oder gar gewalttätig ausgelebt würde.
  • Der Wille entwickelt sich in der Regel etwa im dritten Lebensjahr: Die Willensbildung geschieht in aller Regel sehr überraschend und heftig. Zuvor haben Sie als Eltern etwa zwei Jahre Zeit sich darauf vorzubereiten, das heisst ein tragfähiges Vertrauensverhältnis zu Ihrem Kind aufzubauen. Das ist die Basis, um angemessen auf den ausbrechenden Willen reagieren zu können.
  • Der Wille muss kultiviert, nicht gebrochen werden: Eltern, die mit dem Willen des Kindes überfordert sind, reagieren entweder mit Nichtbeachtung oder mit Gewalt. Beides ist für die Entwicklung des Kindes geradezu verheerend. Wenn Sie das Kind einfach tun und lassen machen, was ihm gerade einfällt, wird es seine Grenzen selbst suchen müssen und dabei mit grösster Wahrscheinlichkeit ernsthaften Gefahren ausgesetzt sein, da ihm gewissermassen die Leitplanken fehlen. Und wenn Sie ihm auch noch einfach jeden Wunsch erfüllen, wird es auf eine negative Art verwöhnt und entsprechend willensschwach. Wenn Sie hingegen das Kind mit körperlicher Gewalt zu bändigen versuchen, besteht die grosse Gefahr, dass Sie seinen Willen brechen. Der Wille ist wie ein roher Diamant, der zuerst geschliffen werden muss, oder eben kultiviert:
  • Das "Zauberwort" der Eltern ist "Nein": Wenn das Kind etwas tut, was Sie nicht dulden wollen, müssen Sie ihm laut und deutlich "Nein!" sagen, und zwar genau einmal! Guten möglich, dass das Kind dann die ersten Male zu toben beginnt - ein Zeichen für seine gesunde Entwicklung! Dann heisst es für Sie ruhig bleiben, beim Kind bleiben und warten, bis das Kind sich ausgetobt hat. Wenn es sich wieder beruhigt hat, braucht es in der Regel nicht einmal eine Begründung, weshalb Sie ihm zum Beispiel das Spielzeug im Laden nicht kaufen wollten. Es genügt vollkommen, dass Sie ihm eine Grenze gesetzt haben. Sie werden staunen, wie versöhnt das Kind danach wieder ist.
  • Das "Nein!" muss laut und deutlich sein: Ihr "Nein!" darf besser zu laut als zu leise sein. Das wird Sie am Anfang möglicherweise einen gewissen Mut kosten. Doch müssen Sie sich bewusst sein, dass in dieser Phase aller Anstand und alles Bitten nicht bloss unnütz, sondern geradezu kontraproduktiv ist! Sie werden es vermutlich auch nicht auf Anhieb schaffen, denn die ersten Male kommen die "Tobsuchtsanfälle" des Kindes regelmässig überraschend und im "ungünstigsten Moment". Das ist völlig normal. Denken Sie einfach daran, dass Kinder äusserst Ausdauer sind und Ihnen solange immer wieder Gelegenheiten geben, bis Sie es gelernt haben!
  • Das "Nein" setzt ein "Ja" voraus: Viele Eltern scheuen sich, dem Kind "derart hart" Grenzen zu setzen. In der Regel steckt dabei Angst vor Liebesentzug dahinter: "Wenn ich dem Kind das Eis verweigere, wird es wütend auf mich". Entscheidend ist deshalb, dass Sie vor der Phase der Willensbildung bereits ein tragfähiges Vertrauensverhältnis aufbauen konnten. Das heisst für Sie als Eltern, dass Sie Ihrem Kind und seinen Fähigkeiten von Anfang an vertrauen und ihm seine Grundbedürfnisse so umfassend wie möglich befriedigen. Oder anders gesagt: In den ersten zwei Jahren, also bevor sich der Wille entwickelt, sollten Sie zu möglichst allem, was vom Kind kommt, "Ja" sagen. Das tönt auf den ersten Blick einfach, doch bedeutet es zum Beispiel auch, dass Sie es nach Möglichkeit im Elternbett schlafen lassen, wenn es danach verlangt oder dass Sie sich auf dem Spaziergang so lange gedulden können, bis es alle Blumen und Steine "untersucht" hat, auch wenn Sie einen Termin haben. Selbstverständlich gibt es auch in dieser Phase Grenzen, und zwar Ihre eigenen, also insbesondere beschränkten Ressourcen, doch sollten die Bedürfnisses des Kindes grundsätzlich Vorrang haben. Bedenken Sie, dass das Kind in dieser Phase weder Wünsche hat (die selbstverständlich warten können und nicht immer in Erfüllung gehen müssen) noch sonst irgendwelche Absichten entwickelt, ausser dass es eben leben will und sich dabei vollumfänglich seinen Eltern anvertraut.

Die Autonomiephase dauert schliesslich genau so lange bis die Eltern gelernt haben, dem Kind Grenzen zu setzen, also seinem frisch erwachten Willen ein konsequentes "Nein!" entgegenzuhalten. Im Idealfall genügend dazu zwei bis drei "Episoden". Dann hat das Kind noch vor der Sozialisation gelernt Grenzen seiner Umwelt zu respektieren und ist entsprechend reif für den Eintritt in die (Vor)Schule.

Wenn das "Nein" aber immer wieder bloss halbherzig ausgesprochen wird, womöglich noch verbunden mit Drohungen und ähnlichem, kann sich die Phase unendlich verzögern und der Wille des Kindes wird sich nie richtig entwickeln können. Typische Reaktionen sind dann Jammern, Möchten (bloss bedingt wollen), Selbstmitleid, Querulieren und ähnliches. Das Ergebnis davon ist eine Willensschwäche, sodass das Kind auch noch als Erwachsener nie so richtig weiss, was es will.

Häufig ersetzen Eltern das "Nein!" aber auch schlicht durch die Anwendung eigentlicher Gewalt. In der Regel geschieht das ohne Bösartigkeit, sondern viel mehr aus Hilflosigkeit, das heisst wenn die Eltern nicht wissen, wie mit dem unbändigen Willen des Kindes umzugehen. Typische Formern von Gewalt sind nebst Schlagen und ähnlichem das Wegsperren und Festhalten. Das ist gleich in mehrfacher Hinsicht kontraproduktiv: Erstens wird damit dem Kind der Wille gebrochen, das heisst etwas vom wertvollsten des Menschen überhaupt zerstört. Zweitens verschiebt sich das Problem einfach auf den Zeitpunkt, zu dem das Kind genügend kräftig (oder schlau) ist, um sich an seinen Eltern zu rächen. Und drittens wird sich das Problem mit der Pubertät gleich in noch viel heftigerem Ausmass wiederholen (was dann für alle Beteiligten geradezu existenziell werden kann).

^ nach oben

Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Wenn Sie die beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung gewissermassen "bestanden" haben, werden Sie plötzlich erstaunt feststellen, dass nun alles wie von alleine läuft: Das Kind hat genügend Selbstvertrauen entwickelt, um auch in einer Gruppe mit seiner individuellen Persönlichkeit bestehen zu können und seine Umgebung zu respektieren. Das Kind ist reif und entwickelt sich im übrigen von alleine. Die Selbständigkeit, also das Ziel Ihrer Erziehungsarbeit, wird einfach von Tag zu Tag grösser. Im Idealfall ist der Jugendliche nach der Pubertät nicht bloss geschlechtsreif, sondern hat auch eine soziale Reife erreicht, die es ihm erlauben würde, selbständig zu leben, also aus dem Elternhaus auszuziehen. In der westlichen Zivilisation wird dieser Prozess allerdings durch die immer länger dauernden Ausbildungsgänge stark eingeschränkt, da Jugendliche in diesem Alter in aller Regel wirtschaftlich noch vollkommen von der Eltern abhängig sind und auch eine Familiengründung zwar biologisch möglich ist, in der Regel aber eine Überforderung darstellt. Das heisst die verschiedenen Dimensionen der Entwicklung laufen nicht mehr synchron.

Das kann dann im täglichen Zusammenleben zwischen Eltern und nun eigentlich erwachsenen Kindern durchaus zur Herausforderung werden: Die Familie wird zu einer Art Wohngemeinschaft, in der allerdings ein eklatantes Ungleichgewicht bezüglich der wirtschaftlichen Beteiligung herrscht. Dieses Ungleichgewicht sollten Sie zumindest thematisieren, sodass die Problematik allen Beteiligten bewusst ist. Das gilt im übrigen noch vermehrt bei Patchworkfamilien, deren Anteil an den Familienfeiern ja mit zunehmenden Alter der Kinder auch höher ist.

^ nach oben

Weiterführende Themen

Übergeordnetes Thema

^ nach oben

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


^ nach oben