Klartext

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Die kognitiven Fähigkeiten des Kindes sind in den beiden ersten Phasen der Erziehung noch ziemlich beschränkt. Es ist deshalb wichtig, dass die Eltern mit dem Kind in einfachen, eindeutigen und positiven - eben klaren - Worten sprechen. Oder anders gesagt: entweder "Ja" oder "Nein!"

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"Ja" oder "Nein!"

Gewöhnen Sie sich gleich von Anfang daran, dass es für Kinder nur "entweder oder" gibt. Entweder hat das Kind Hunger oder nicht, es hat nicht einfach ein bisschen Lust. Darauf sollte Ihre Kommunikation ausgerichtet sein. Schon Kleinkinder verstehen, wenn Sie entweder "Ja" oder "Nein" sagen. Erklärungen hingegen brauchen sie zumindest in der Phase der Vertrauensbildung keine, denn sie vertrauen ihren Eltern noch vollkommen. Als Eltern müssen Sie bloss darum bemüht sein, dass dieses Vertrauen erhalten bleibt, indem Sie lernen, Ihrerseits dem Kind beziehungsweise seinen Grundbedürfnissen und Fähigkeiten zu vertrauen. Dieses Vertrauen ist das "Ja" in der Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind.

Wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa ab dem dritten Lebensjahr, werden Sie vermehrt auch "Nein" sagen müssen - und lernen konsequent dabei zu bleiben. Es geht dann vor allem darum, dass Sie sich sicher sind und standhaft bleiben. Kinder brauchen in diesem Alter unbedingt eine klare Linie, die keine Zweifel offen lässt. Wenn Sie selbst eher wankelmütig sind, haben Sie mit Kindern also ein wunderbares Übungsfeld! Sie werden dann auch lernen müssen angemessen zu reagieren, wenn das Kind zu toben beginnt.

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Einfache, verständliche Worte

Sprechen Sie mit Ihrem Kind in einfachen Sätzen, zum Beispiel "Sieh, hier sind Deine Karotten." Sie brauchen dem Kind nicht auch noch zu erklären, wie Sie diese Karotten gekocht haben, wie gesund sie sind und dass es noch mehr davon hat, wenn es fertig gegessen hat und dass es langsam essen soll. Denken Sie daran, dass für ein Kind fast alles neu ist und es entsprechend Zeit braucht, um zu verstehen. Machen Sie also nach jedem Satz eine Pause und vergewissern Sie sich, ob das Kind überhaupt noch mehr an Informationen von Ihnen braucht. Noch besser ist es, wenn Sie ganz einfach warten, bis das Kind von sich aus danach verlangt.

Klartext ist nicht zu verwechseln mit der sogenannten "Babysprache". Sprechen Sie grammatikalisch korrekt, das heisst isnbesondere, dass Sie die Verben konjugieren dürfen und sollen und dass Sie in der richtigen Person sprechen, also zum Beispiel "Du kannst jetzt Deine Korrekten essen" (und nicht etwa "Karotten essen" oder "Essen wir Karotten"). Wenn das Kind zwischen "Ich" und "Du" zu unterscheiden beginnt, wird es anfangs zwar etwas verwirrt sein, weil es zuvor einfach alles wortwörtlich nachgeplappert hat und nun plötzlich versucht, auch sprachlich zwischen sich und den Mitmenschen zu unterscheiden. Das macht aber gar nichts, denn das Kind versteht durch die Wiederholungen sehr bald, wie das funktioniert!

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Verunklärungen

Während es für Erwachsene durchaus eine Tugend ist, die Welt differenziert wahrzunehmen und sich entsprechend gewählt und mit Bedacht auszudrücken, wäre das für Kinder in den ersten, entscheidenden Phasen der Erziehung noch schlicht eine Überforderung. Kinder müssen zuerst einmal sozusagen die beiden Pole erfahren, bevor sie die Welt dazwischen erforschen können: Entweder ist etwas heiss oder kalt, gut oder schlecht. Mangelnde Klarheit kann eine ganze Reihe von Gründen haben:

"Jein"

Wenn das Kind etwas von Ihnen will, braucht es eine klare Antwort. Gewöhnen Sie sich am besten gleich an, Ihre Antwort immer mit "Ja" oder "Nein!" zu beginnen. Und vor allem: Bleiben Sie dabei! Wenn Sie einmal unsicher sind, können Sie dem Kind immer noch sagen, dass Sie zuerst noch überlegen müssen. Aber entscheiden müssen Sie sich selbst! Wenn das Kind zum Beispiel durch die Wasserlache springen will, müssen Sie ihm das gestatten oder es davon abhalten. Wenn Sie zum Beispiel antworten mit "Muss das sein?" oder "Da wirst Du bloss schmutzig!" haben Sie weder "Ja" noch "Nein" gesagt, also "Jein". Das Kind muss dann interpretieren (und wird das im Zweifel natürlich entsprechend seiner Lust tun). Sie untergraben damit nicht bloss Ihre eigene Autorität, sondern geben dem Kind auch keinen Halt, sodass es sein von Natur aus vorhandenes Vertrauen in die Eltern zu verlieren droht.

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Relativierungen

Durch Ihre Erfahrungen haben Sie gelernt, dass es nicht bloss gut oder schlecht gibt, sondern dass das Gute auch Schattenseiten haben kann oder das Gute bloss vermeintlich gut ist und etwas ganz anderes dahinter steckt (und umgekehrt). Für Kinder ist das aber noch nicht verständlich. Wenn das Kind zum Beispiel Durst hat, will es trinken, ganz gleich ob Sie ihm gesunden Tee oder problematische Süssgetränke anbieten. Es macht deshalb keinen Sinn, dass Sie ihm sagen, es solle nicht zu viel Zuckerhaltiges trinken, da das ungesund sei. Sie müssen sich schon vorher überlegen, was Sie für richtig halten und sich entsprechend einrichten. Denn wenn das Kind Durst hat, soll es so viel trinken, wie es mag. Es kann dann nicht gleichzeitig noch die Nebenfolgen des Durststillens miteinbeziehen.

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Differenzierungen

Ähnlich heikel ist es, wenn Sie dem Kind zum Beispiel erklären wollen, dass es beim Picknicken den angefaulten Apfel in den Wald schmeissen darf, zu Hause hingegen nicht ins Wohnzimmer herumwerfen soll. Erklären Sie dem Kind immer nur das, was gerade aktuell ist, mit allem anderen wäre es überfordert (ausser natürlich, es fragt von sich aus nach verschiedenen Situationen). Differenzierungen setzen ein Mindestmass an Vorstellungsvermögen voraus. Das Kind lebt aber noch voll und ganz im Hier und Jetzt. Ihre Antworten braucht es immer nur für die aktuelle Situation. Wenn sich die Situation ändert, kann es das nachvollziehen und sehr wohl andere Regeln akzeptieren. So macht es Kindern zum Beispiel überhaupt keine Mühe, dass die Grosseltern andere Tischmanieren haben als die Eltern. Irgendwann werden sie vielleicht nach dem Grund fragen, dann können Sie immer noch erklären.

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Bedingungen

Heikel sind auch Bedingungen: Der Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung ist für Kinder zumindest in den ersten Jahren noch kaum überschaubar, da sie ausschliesslich in der Gegenwart leben und sich weder für die Vergangenheit noch die Zukunft interessieren. Schon allein aus diesem Grund machen auch Verbote und Strafen keinen Sinn. Um Grenzen zu setzen genügt hingegen ein laut und deutlich ausgebrochenes "Nein!".

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Anstand

Anstandsregeln können den Umgang zwischen Menschen auf eine Art und Weise kultivieren, dass das Zusammenleben erleichtert wird. Sie können sich zum Beispiel darauf verlassen, dass Ihnen in der Strassenbahn Platz angeboten wird, wenn Sie mit dem Kinderwagen kommen oder dass Sie gefragt werden, ob man Ihnen behilflich sein soll. Eltern, denen der Respekt ihren Kindern gegenüber wichtig ist, kommen gerne in Versuchung, auch in der Erziehung Anstand walten lassen zu wollen. Das ist aber zumindest in den ersten Jahren und ganz speziell in der Phase der Willensbildung, nicht bloss heikel, sondern meistens geradezu kontraproduktiv. Wenn Sie zum Beispiel wollen, dass das Kind seine Schuhe selbst am richtigen Ort verräumt, müssen Sie ihm das zumindest am Anfang klar sagen, also in der Befehlsform. Wenn Sie es einfach fragen, ob es doch bitte die Schuhe verräumen würde, wird es das nicht als Aufforderung verstehen, sondern eben bloss als Frage oder als Wunsch. Und die Frage kann es mit Fug und Recht "Nein!" antworten, während es sich für die Erfüllung elterlicher Wünsche nicht zuständig fühlt, jedenfalls nicht in den entscheidenden Phasen der Erziehung. Dem Willen des Kindes, der höchstens in Ausnahmefällen mit dem Bedürfnis der Eltern nach einem Mindestmass an Ordnung zusammenfällt, müssen Sie deshalb mit einer klaren Forderung entgegnen. Scheuen Sie sich nicht, laut und deutlich "Stell die Schuhe dort hin, wo sie hingehören!" zu sagen. Sie dürfen, ja sollen, anfangs besser einmal zu dominant auftreten, das schadet nicht. Höchst problematisch wird es bloss dann, wenn Sie Ihre Forderung bedachtsam, dafür mehrmals äussern. Die meisten Kinder wird das nämlich nicht beeindrucken, zumal sie sehr ausdauernd sein können, wenn es darum geht, den eigenen Willen durchzusetzen! Die Gefahr ist dann gross, dass Eltern irgendwann die Geduld ausgeht und bloss noch zu schreien beginnen, sodass dann der Teufelskreis perfekt ist.

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Unverlangte Erklärungen

Ebenso von falsch verstandenem Respekt kommt die Versuchung vieler Eltern, dem Kind ihre Erziehung erklären zu wollen. Gerade in der Phase der Willensbildung ist das besonders kontraproduktiv. Wenn ein Kind seinen Willen entdeckt und diesen gegenüber seine Eltern durchsetzen will, helfen weder Beschwichtigungen noch Erklärungen, Sie müssen ganz einfach "Nein!" sagen und dabei bleiben. Und wenn das Kind zu toben beginnt, müssen Sie lernen angemessen darauf zu reagieren. Eine Erklärung für die Grenze, die Sie dem Kind gesetzt haben, braucht es bestenfalls danach, wenn Sie sich wieder versöhnt haben und das Kind eine solche verlangt.

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Verklausulierungen und Ironie

Die Konversation unter Erwachsenen ist häufig voll von Verklausulierungen und ironischen Bemerkungen. Das mag spannend und unterhaltsam sein, in der Beziehung zu Kindern wäre es hingegen höchst kontraproduktiv. Kinder können noch nicht verstehen, dass Sie etwas nicht ernst meinen, denn sie vertrauen Ihnen wortwörtlich. Vom Sprachwitz sind sie in der Regel noch ziemlich lange überfordert.

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Negierungen

Negierungen, also insbesondere das Wörtchen "nicht", können Kinder noch nicht verstehen. "Nicht" überhören sie ganz einfach. Wenn Sie dem Kind also zum Bespiel sagen, es solle nicht so schnell laufen, wird es in erster Linie "schnell laufen" verstehen, was natürlich Ihrer eigentlichen Absicht zuwiderläuft. Achten Sie deshalb unbedingt auf positive Anweisungen, also zum Beispiel "Mach langsam". Die einzige Negierung, die ein Kind versteht, ist "Nein!", einmal, dafür laut und deutlich, ausgesprochen. Das Abstratkionsvermögen, das Negierungen voraussetzt, ist sehr hoch und überfordert im übrigen auch Erwachsene immer wieder (Versuchen Sie doch einfach so spasseshalber, nicht an einen rosaroten Elefanten zu denken!).

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Folgen von Verunklärungen

Wenn das Kind nicht oder nur schlecht versteht, was Sie ihm sagen, stört das sein Vertrauen in Sie und somit die Beziehung zu Ihnen. Das sollten Sie gerade auch dann bedenken, wenn Sie meinen, Sie könnten nicht oder schlecht "Nein!" sagen: Sie weichen damit einem Kontakt zum Kind aus, aus lauter Angst, seine Zuneigung zu verlieren. Doch effektiv bewirken Sie genau das Gegenteil. Kommt dazu, dass "Nein!" und "Ja" sich gegenseitig bedingen, dass Sie also ziemlich sicher auch nicht wirklich "Ja" zu Ihrem Kind sagen können. Bringen Sie deshalb Mut zur Klarheit auf, auch wenn es Ihnen selbst anfangs vielleicht weh tut, Ihrem Kind kann es nur gut tun!

Ein Kind, das von seinen Eltern nicht klar gesagt erhält, was gilt und was nicht, wird sehr schnell die Orientierung verlieren, da ihm die Struktur fehlt, die es anfangs braucht. Klare Strukturen, auf die sich das Kind verlassen kann, geben ihm Selbstvertrauen und lehren es, Grenzen zu respektieren, sodass es nach den ersten beiden Phasen der Erziehung bereits genügend reif ist, sich auch ausserhalb der Familie mit seiner Persönlichkeit zu behaupten und fruchtbare Beziehungen einzugehen. Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit sollten das Ziel Ihrer Erziehugsarbeit sein. Dazu haben Sie rund zwei Mal zwei Jahr Zeit, danach können Sie sich bereits weitgehend zurücklehnen und sich auf eine Art Begleitung beschränken. Zuvor müssen Sie aber aufmerksam und klar sein!

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Weiterführende Themen

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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