Helfen

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Hilfe ist nur nötig, wenn ein Mangel besteht, Kinder kommen aber ohne Mängel zur Welt. Ihre Fähigkeiten mögen zwar noch schlummern und müssen zuerst entwickelt werden, doch sind sie alle schon da! Kinder brauchen deshalb in erster Ihr Vertrauen: Vertrauen Sie dem Kind, dass es erstens leben will und zweitens alle Fähigkeiten bereits in sich hat, die es für sein Leben braucht. Und wenn es Ihre Hilfe braucht, kann es das fordern!

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Schwangerschaft und Geburt

Bis zur Geburt ist das Kind noch eins mit der Mutter und Helfen im engeren Sinn ist in dieser Zeit noch nicht möglich, beziehungsweise nur indirekt, zum Beispiel durch eine gesunde Ernährung. Die Geburtsvorbereitung sollte aber auch den Gedanken beinhalten, dass das Gebären ein eigentlicher Akt der Kooperation ist: Das Kind muss den Drang haben, den Mutterleib zu verlassen und die Mutter muss ihm dabei helfen, ansonsten es für beide gefährlich werden kann. Das gegenseitige Helfen bei der Geburt ist also existenziell und fundamental. Und vor allem ist es ein gemeinsamer Kraftakt von Mutter und Kind: Beide sind aufeinander angewiesen (während der Vater zwar Unterstützung leisten kann, aber offensichtlich ersetzbar ist!).

Der Gedanke der Kooperation sollte denn auch zentral für die Erziehung sein: Eltern können ihren Kindern helfen und Kinder umgekehrt ihren Eltern. Kooperieren bedeutet auch, dass alle Beteiligten aufeinander Rücksicht nehmen, weil sie ganz genau wissen, dass sie aufeinander angewiesen sind. Und wer aufeinander angewiesen ist, der kommt auch nicht in Versuchung, den anderen auszunutzen oder zu überfordern. Wenn Sie also das Gefühl haben, dass Ihre Kinder Sie vor lauter Hilfsbedürftigkeit auszulaugen drohen, sollten Sie vor allem Ihre Einstellung zum Thema Helfen überdenken. Denn Kinder haben ein sehr feines Gespür dafür, dass sie auf ihre Eltern angewiesen sind und haben deshalb auch ein entsprechendes Interesse daran, dass es ihnen gut geht und sie nicht vor lauter Erschöpfung selbst hilfsbedürftig werden.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Das Neugeborene ist zwar vollkommen auf die Sorge der Eltern angewiesen, völlig hilflos ist es deswegen aber nicht. So hilft ihm beim Gestillt werden nicht nur die Mutter, sondern auch sein Saugreflex. Und die Mutter wiederum ist nicht nur froh darüber, dass ihr Kind genährt wird, sondern auch dass es ihre Brust entleert, ansonsten ein Milchstau droht.

Helfen und Grundbedürfnisse

Bereits der Säugling verlangt Hilfe von sich aus, wenn er sie braucht. Sehr aufmerksame Eltern können schon an der Mimik (und später an der Gestik) erkennen, was dem Kleinkind fehlt, ansonsten es ganz einfach zu schreien beginnt. Für die meisten Eltern ist es anfangs alles andere als einfach aufgrund der Art des Schreiens zu spüren, was genau dem Kind fehlt. Entscheidend ist aber, dass Sie als Eltern dem Kind immer vertrauen, das heisst sich bewusst sind, dass es um seine Grundbedürfnisse geht, wenn das Kind schreit. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse (wie zum Beispiel Nahrung oder Gehalten werden) verlangt in diesem Alter keinerlei Aufschub: Wenn das Kind schreit, sollten Sie sich immer sofort und bedingungslos um es kümmern. Denn das Kind vertraut Ihnen vollkommen und will sein Vertrauen bestätigt wissen. Darauf baut sein ganzen Selbstvertrauen auf.

Wenn Sie das Kind hingegen einfach schreien lassen, bis es aufgibt (was im übrigen durchaus länger dauern kann als Sie es aushalten!), wird es in gleichem Masse auch sein Vertrauen in Sie und in das Leben verlieren. Das wiederum beeinträchtigt in hohem Masse sowohl das Selbstvertrauen als auch die Beziehungsfähigkeit.

Helfen und Fähigkeiten

Als Eltern müssen Sie aber nicht nur lernen, den Grundbedürfnissen des Kindes zu vertrauen, sondern auch dessen Fähigkeiten. Helfen Sie ihm deshalb nur dann, wenn es die Hilfe auch wirklich verlangt. Denn das Kind weiss sehr wohl um seine Fähigkeiten und will möglichst alles selbst machen. In den ersten vier Jahren können und sollen Sie dem Kind grundsätzlich gar nichts lehren, jedenfalls nichts von dem, was es wirklich braucht: Das Kind lernt die wesentlichen Fertigkeiten wie essen, laufen oder sprechen ganz von alleine! Es braucht einzig Ihre Aufmerksamkeit und Zustimmung in der Form eines bedingungslosen "Ja“.

Unverlangte Hilfe

Ihre Hilfe als Eltern mag also noch so gut gemeint sein, wenn sie nicht verlangt ist, ist sie immer kontraproduktiv! Denn Hilfe macht das Kind abhängig, statt selbständig, also genau das Gegenteil des Ziels der Erziehung! Das verlangt von Ihnen entsprechende Geduld, denn Kinder haben überhaupt keine Mühe damit, sich für alles, was sie erreichen wollen, Zeit zu nehmen. Die Buchseite im Kinderbuch zum Beispiel, die für kleine Finger so schwierig umzublättern ist, wird das Kind solange drehen und wenden, bis es klappt. Wenn Sie dann gar nicht mehr zuschauen können, weil Ihnen die Ausdauer dazu längst abhanden gekommen ist, können Sie das Kind ja mal fragen, ob Sie helfen sollen. Und nehmen Sie schliesslich auch mal in Kauf, dass eine Seite zerrissen wird: Das Kind wird daraus lernen und beim nächsten Mal Ihre Hilfe viel leichter annehmen, da es nun die Erfahrung gemacht hat, dass das Blättern noch nicht so einfach geht.

Noch viel wichtiger als Helfen ist also warten zu können, bis die Hilfe wirklich nötig ist! Wenn Sie dem Kind zu früh helfen, zumal wenn es noch gar nicht danach gefragt hat, unterschätzen Sie im Grunde genommen seine Fähigkeiten! Kinder haben aber immer genau die Fähigkeiten, die sie für sich und ihre momentane Situation benötigen. Vergessen Sie deshalb möglichst auch gleich alle Entwicklungstabellen und Lehrpläne, die notgedrungen immer auf Durchschnittswerten basieren: Kein Kind ist durchschnittlich, jedes Kind ist einmalig, sowohl was seine Fähigkeiten als auch seine Entwicklung anbelangt.

Kinder reagieren unterschiedlich auf unverlangte Hilfe: Im besten Fall werden sie wütend, sodass Sie als Eltern wissen, dass Sie sich mehr zurückhalten sollten. Andere Kinder hingegen resignieren mit der Zeit schlicht und werden dann gerne als bequem bezeichnet, obwohl sie es eigentlich von Natur aus gar nicht sin.

Helfen und Abhängigkeit

Helfen beinhaltet schliesslich auch immer ein gewisses Machtgefälle zwischen Helfer und demjenigen, dem geholfen wird. Das ist an sich noch nicht problematisch, zumal in der Erziehung, wo von Natur aus eine Hierarchie besteht. Mehr Macht birgt aber immer auch die Gefahr des Machtmissbrauchs. Zwischen Eltern und Kindern ist das immer dann der Fall, wenn aus der Hilfe eine unnötige Abhängigkeit entsteht, also genau das Gegenteil von dem, was die Erziehung eigentlich bewirken sollte, nämlich Selbständigkeit. Das geschieht zwar meist unbewusst, die Wirkung kann aber trotzdem ziemlich fatal sein.

Wenn dem Kind zum Beispiel immer wieder gesagt wird, dass nur die Eltern wissen, welche Spielkameraden ihm "gut tun", wird es schon bald seinem eigenen Gespür nicht mehr trauen und sich nur noch auf die Eltern verlassen. Irgendwann jedoch wird es die Eltern nicht mehr ständig um sich haben und ziemlich hilflos dastehen, während normal reife Kinder ganz von sich aus entscheiden können, was ihnen gut tut und was nicht. Zu viel Hilfe wirkt sich dann höchst kontraproduktiv aus, indem ziemlich genau das provoziert wird, was eigentlich hätte verhindert werden sollen.

Noch schlimmer ist, wenn die Eltern die Abhängigkeit auch noch für egoistische Motive auszunützen beginnen, wie zum Beispiel beim sexuellen Missbrauch. Es gibt aber auch weniger gravierende Arten des Missbrauchs, die der kindlichen Entwicklung schaden. Häufig neigen Elternteile, die selbst unter Einsamkeit leiden, dazu ihre Kinder als Ersatz für Freundschaften oder gar als Partnerersatz zu betrachten.

Verweigerte Hilfe

Eher seltener ist der Fall, dass Eltern dem Kind nicht die Hilfe anbieten, die es verlangt. Auch darauf reagieren Kinder unterschiedlich: Im besten Fall beschliesst das Kind einfach, dass es sich halt selbst helfen muss, während andere Kinder resignieren oder sich die Hilfe anderswo holen. Kinder, die sich selbst helfen können, werden dadurch sicher schneller selbständig, doch geht das ebenso regelmässig auf Kosten der Vertrauensbildung und somit der Beziehungsfähigkeit.

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Gratwanderung

In der Phase der Vertrauensbildung sollten Sie also sehr sorgfältig mit Helfen umgehen, ist es doch eine Art Gratwanderung, wobei heutzutage Kindern eher zu viel und zu oft geholfen wird (Stichwort "Helikoptereltern") als umgekerht.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Wenn das Kind etwa ab dem dritten Lebensjahr beginnt seinen Willen zu entwickeln, kommt dem Thema Helfen eine ganz andere Bedeutung zu: Es geht dann nicht mehr nur darum, dass das Kind Unterstützung braucht, sondern ganz im Gegenteil: dass ihm auch Grenzen gesetzt werden müssen. Denn der Wille ist gerade zu Beginn eine unheimlich starke Kraft, von der das Kind häufig geradezu überwältigt wird. Ihre Antwort muss dann "Nein!" lauten - und nichts anderes.

Umgekehrt freut sch auch das Kind, wenn es Ihnen helfen darf, sei es beim Kochen, sei es beim Putzen. Schaffen Sie dem Kind Gelegenheit dazu, auch wenn es Ihnen anfangs natürlich noch nicht wirklich helfen kann oder Sie gar noch das eine oder andere Unglück in Kauf nehmen müssen. Entscheidend ist, dass das Kind Freude daran hat und sein Tun von Ihnen geschätzt wird: Wenn das Kind Helfen mit Freude verbindet, werden Sie es später, wenn es um die Mithilfe bei Haushaltsarbeiten geht, um ein Vielfaches einfacher haben! Kinder, die in diesem Alter mithelfen dürfen, erleben Verantwortung für das Zusammenleben.

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Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Nach etwa vier Jahren sollte das Kind so reif sein, dass Helfen mehr und mehr gewissermassen auf Augenhöhe stattfinden kann. Das heisst, dass das Kind im Haushalt effektiv mithelfen kann, sei es, dass es den Tisch deckt, sei es, dass der Jugendliche sein Zimmer selbst reinigt. Wenn Kinder das gegenseitige Helfen nur früh genug als etwas Positives erlebt haben, werden Sie auch überhaupt keine Mühe haben, dass das Kind freiwillig mithilft.

Und umgekehrt dürfen Sie vom Kind auch fordern, dass es sich möglichst selbst hilft, wenn es Sie um Unterstützung angeht (oder es zumindest fragen, wie es das Problem selbst lösen würde).

Kinder hingegen, die in den ersten Jahren nicht helfen durften (weil die Eltern zum Beispiel dauernd Angst hatten, dass etwas kaputt gehen könnte oder dass sich das Kind verletzen könnte), werden später entsprechend wenig Lust haben, den Eltern freiwillig zu helfen. Da helfen dann nur noch klare Abmachungen und Vereinbarungen, wobei letztere gemeinsam mit dem Kind erarbeitet werden.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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