Freiheit

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Freiheit ist die Möglichkeit, sich frei entscheiden und frei bewegen zu können. Beides ist für die Entwicklung des Kindes essentiell. Freiheit bedeutet aber auch Verantwortung, das heisst die Fähigkeit, für die Folgen seines Tuns und Lassens aufkommen zu können. Verantwortung muss das Kind erst noch lernen, beziehungsweise die Eltern müssen lernen, dem Kind Verantwortung zu übergeben. Denn nur der verantwortungsvolle Umgang mit der Freiheit führt zu Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit, also dem eigentlichen Ziel der Erziehung. Es braucht deshalb einen freien Willen, also ein Wille, der frei ist von egoistischen Motiven und äusseren Zwängen. Der wirklich freie Wille ist natürlich ein hehres Ziel und kann realistischerweise erst im Laufe des Lebens angestrebt werden (und ist abgesehen davon auch gar nicht jedermanns Ziel). Doch können Sie als Eltern in der Phase der Willensbildung immerhin die entscheidenden Grundlagen dazu legen!

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Während der Phase der Vertrauensbildung sollte die Freiheit des Kindes noch grenzenlos sein. Das heisst, es sollte grundsätzlich alles tun und lassen dürfen, wozu es gerade Lust hat. Die einzigen Grenzen sind Gefahren und Ihre eigenen Grenzen (wie zum Beispiel Ihr Bedürfnis nach einem Mindestmass an Ruhe und Erholung). Lassen Sie das Kind in diesem Alter so viel wie nur möglich frei bewegen und selbst entscheiden, wenn es Lust dazu hat. Das Kind muss die Erfahrung machen können, dass es darf, dass es willkommen ist, so wie es gerade ist und ihm zumute ist. Wenn das Kind diese (äussere) Freiheit erleben durfte, wird sein Vertrauen in das Leben gestärkt und es wird später viel einfacher mit all den Beschränkungen, die das Leben zwangsläufig mit sich bringen wird, umgehen können. Gehen Sie davon aus, dass das Kind in diesem Alter lediglich Grundbedürfnisse hat und dass es diese zudem am besten kennt (also noch besser als seine Eltern!). Dazu gehören insbesondere Bewegung, Essen, Schlafen und Kleider.

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Frei entscheiden

Überlassen Sie es zum Beispiel dem Kind, ob es im Winter die Mütze anziehen will oder nicht: Die meisten Kinder hassen es nämlich, wenn ihnen diese schon in der Wohnung übergestülpt wird, also zu einem Zeitpunkt, da es noch viel zu warm ist. Sobald das Kind an der kalten Luft ist, sieht die Situation dann aber schon ganz anders aus. Damit haben sie gleich mehrere Dinge erreicht: Erstens durfte das Kind selbst entscheiden und dabei die Erfahrung machen, dass es durchaus Sinn macht, bei kaltem Wetter eine Mütze anzuziehen. Und zweitens haben Sie sich womöglich den Ärger erspart, den Sie gehabt hätten, wenn Sie das Kind hätten zwingen wollen. Das stärkt das Vertrauen, da das Kind erlebt hat, dass Sie es tatsächlich gut mit ihm meinen, wenn Sie die Mütze mit nach draussen nehmen. Gut möglich, dass es dann beim nächsten Mal, da Sie ihm die Mütze schmackhaft machen wollen, Ihnen schon früher glaubt, die Mütze in die Hand nimmt und vor dem Haus selbständig anzieht! Je mehr Entscheidungsfreiheit Sie also dem Kind überlassen, desto selbständiger wird es! Achten Sie auf all die kleine Dinge des Alltags, die Sie dem Kind nach und nach zutrauen können.

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Frei bewegen

Kinder haben von Natur aus einen enormen Bewegungsdrang. Lassen Sie Ihr Kind möglichst immer frei bewegen, am besten natürlich in der freien Natur. Es gibt keinen Grund, Kinder in irgendeiner Weise zu hindern, ausser natürlich es drohe wirkliche Gefahr (also eher selten!). Das setzt natürlich voraus, dass Ihre Wohnung auch entsprechend eingerichtet ist, also nicht überall zerbrechliche Vasen herumstehen. Zumindest in den ersten Jahren sollten Sie also ihre Wohnsituation nach den Bedürfnissen der Kinder ausrichten. Vertrauen Sie dem Kind, dass es zum Beispiel beim Klettern die Gefahr selbst bestens spüren kann und deshalb nur so weit klettert, wie es sich das selbst zutraut. Umgekehrt müssen Sie aber auch seine Angst ernst nehmen, wenn es sich zum Beispiel weniger zutraut als Sie von ihm erwarten.

Frei bewegen bedeutet auch, dass das Kind selbst erfahren darf, wo Hindernisse wie zum Beispiel eine Tischkante oder eine Türschwelle liegen. Halten Sie sich also zurück, wenn Sie das Kind vor Missgeschicken behüten wollen, es wäre höchst kontraproduktiv wenn dauernd Ihre schützende Hand das Kind vor Unglück bewahren will, beziehungsweise das Kind eben letztlich behindert. Wenn sich das Kind weht tut, braucht es hingegen Ihren echten und bedingungslosen Trost. Kinder können nämlich bestens mit Schmerzen umgehen, wenn sie bloss genügend getröstet werden.

Die Freiheit des Kindes sollte in dieser ersten, entscheidenden Phase so weit gehen, wie das Kind selbst mag, also bis es zum Beispiel so müde ist, dass es schlafen möchte oder dass es so viel essen und trinken darf, wie es mag. Einschränkungen sind bloss bei wirklichen Gefahren oder aufgrund von Überfluss nötig.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Während das Kind bisher möglichst uneingeschränkte Freiheit geniessen durfte, muss es nun in der Phase der Willensbildung, in der Regel etwa ab dem dritten Lebensjahr, auch Grenzen erfahren können. Denn der frisch erwachte Wille des Kindes kennt kaum mehr Grenzen und geht regelmässig weit über seine Grundbedürfnisse hinaus. Sein Wille steht auch häufig dem seiner Umwelt entgegen. Seine Freiheit kann deshalb nicht mehr grenzenlos sein, ansonsten es unweigerlich zu kleineren und grösseren Konflikten kommen wird. Es ist deshalb Ihre Aufgabe als Eltern, dem Kind dort Grenzen zu setzen, wo es zu weit geht. Wo diese Grenze liegt, müssen Sie bestimmen! Sie können also nicht etwa erwarten, dass das Kind von sich aus wüsste, wie weit es gehen darf. Sie können auch von der Umwelt nur beschränkt erwarten, dass sie Ihrem Kind Grenzen setzt. Verantwortungsvolle Mitmenschen werden zwar dazu bereit sein, doch besteht immer die Gefahr, dass das Kind auch an verantwortungslose Menschen gerät, die ihre Macht zu egoistischen Zwecken missbrauchen!

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Grenzen der Freiheit

Der Wille von Dreijährigen ist legendär. In diesem Alter können Kinder eigentliche Allmachtsphantasien entwickeln. Wenn ein Kind erst einmal entdeckt, was alles möglich ist, wenn es bloss will, kommt es auf die verrücktesten Ideen. Das ist ein Zeichen seiner gesunden Entwicklung und nicht etwa Anlass zur Besorgnis. Manche Eltern staunen auch, welch unglaubliche Lernleistungen das Kind plötzlich entwickelt. Gerade Knaben sehen sich häufig auch als Ritter oder Eroberer und glauben die ganze Welt beherrschen zu können. Auch das ist immer noch alles kein Anlass zur Sorge. Schwierig wird es erst, wenn die Eltern dem nichts entgegen halten oder die Anwandlungen des Kindes gar noch zur allgemeinen Belustigung provozieren. Denn jetzt muss das Kind auch Widerstand spüren und seine schier unermessliche Energie zumindest in Herausforderungen kanalisieren können. Dazu müssen Sie dem Kind Grenzen zeigen, und zwar konsequent.

Wenn ein Kind zum Beispiel einen Ast zum Schwert erklärt und damit andere zu schlagen beginnt, müssen Sie laut und deutlich "Nein!" rufen. Scheuen Sie sich nicht, das Kind nötigenfalls auch einmal richtig anzuschreien! Sie dürfen durchaus auch Ihre allfällige Wut zum Ausdruck bringen, das Kind muss förmlich spüren, dass es zu weit geht. Manche Kinder müssen Grenzen auch körperlich spüren. Das heisst allerdings nicht, dass Sie es schlagen dürften oder ihm den Ast aus den Händen reissen sollen (das wäre nämlich eine Grenzüberschreitung Ihrerseits!), sondern dass Sie den Ast zum Beispiel festhalten, bis das Kind nachgibt.

Manche Kinder beginnen in diesem Alter auch irgendwelche Dinge, die ihnen gerade in die Hände geraten, ohne jeglichen ersichtlichen Grund wie wild um sich zu schmeissen. Auch in diesem Fall ist ein konsequentes "Nein!" gefordert. Vorwürfe, Ironie oder gar Spott wären hingegen fehl am Platz, vielmehr sollten Sie dem Kind die Verantwortung für die Folgen seines Tuns übergeben, also es auffordern, die herumliegenden Dinge wieder aufzuheben und zu verräumen. Dazu genüget in der Regel eine Bitte oder eine Frage nicht, Sie müssen es ihm schon klar befehlen! Falls es sich weigert, müssen Sie so lange ausharren, bis es von sich aus einsichtig geworden ist (falls es dabei offensichtlich überfordert ist, können Sie ihm natürlich auch Ihre Hilfe anbieten). Verlassen Sie das Kind in solchen Situationen nicht, das Kind würde das Kind als Strafe empfinden (zudem noch als eine der schlimmst möglichen!). Geben Sie aber keinesfalls nach, auch wenn es für Sie gerade viel leichter wäre, selbst aufzuräumen. Bleiben Sie konsequent, das mag zwar häufig aufwändiger sein, doch werden Sie schon bald erfahren, wie sehr sich dieser Aufwand für Sie gelohnt hat. Denn in aller Regel sind derartige Ausbrüche des Kindes einmalig, jedenfalls wenn Sie schon beim ersten Tobsuchtsanfall angemessen reagieren konnten (ansonsten Ihnen das Kind schon bald die nächste Chance zum üben geben wird!).

Wenn Sie gelernt haben, dem Kind mittels einem klaren "Nein!" konsequent Grenzen zu setzen, werden Sie sehr schnell feststellen, wie selbstverständlich es ist, auf Strafen verzichten zu können, zumal diese in aller Regel höchst kontraproduktiv sind. Ebenso werden Sie staunen, wie viel Freiheit Sie Ihrem Kind lassen können, wenn Sie erst einmal gelernt haben, ihm zu zeigen, wie weit es gehen darf!

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Freier Wille

Der Wille des Kindes muss also gewissermassen kultiviert werden, um frei werden zu können. Das heisst, dem Kind muss zwar sein Wille gelassen werden, doch müssen ihm gleichzeitig die Grenzen gezeigt werden. Grenzen sind für Kinder sowohl Leitplanken als auch Herausforderung: Sie können sich das wie ein Radrennfahrer bei einer Passfahrt vorstellen, der immer wieder an sein Limit geht, während des Aufstiegs alle seine Kräfte mobilisiert, aber auch einteilen muss, und bei der Talfahrt die Kurven ausreizt, dabei aber auch vertrauen muss, dass er bei einem Sturz von einer Leitplanke aufgehalten wird. Je mehr Herausforderungen das Kind begegnet, desto besser kann es seinen Willen entwickeln. Wenn das Kind hingegen auf eine schlechte Art verwöhnt wird, bleibt sein Wille ungenutzt und wird überflüssig, beziehungsweise das Kind nutzt diese Energie anderweitig, insbesondere aber für Unsinn. Die grenzenlose Freiheit des Kindes, mit der es geboren wird, und die es in der Phase der Vertrauensbildung auch noch voll sollte ausleben dürfen, muss also in der Phase der Willensbildung kanalisiert werden. Nur so kann es lernen, seinen Willen kreativ für sich selbst nutzen und dabei auch die Bedürfnisse seiner Umwelt respektieren. Der wirklich freie Wille, also der Wille frei von egoistischen Motiven und äusseren Zwängen, ist zwar ein hehres Ziel des Menschen und bedarf, so definiert, meist lebenslanger Übung. Der freie Wille selbst kann deshalb auch nicht erstes Ziel der Erziehung sein, allerdings sollte das Ziel der Erziehung sein, dass der junge Erwachsene optimale Voraussetzungen hat, um allenfalls daran zu arbeiten. Als Ziel der Erziehung bezeichnet das "Zweimalzwei der Erziehung" ja Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit. Dazu muss der junge Erwachsene zumindest wissen, was er selbst will und wo er den Willen seiner Bezugspersonen zu respektieren hat. Die Grundlagen für einen verantwortungsvollen Umgang mit der Freiheit legen Sie als Eltern in den ersten, alles entscheidenden Jahren des Kindes!

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Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Wenn Sie es während den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung geschafft haben, dem Kind genügend Verantwortung zu übergeben, werden Sie nun staunen, dass Sie es mehr und mehr gewissermassen in die Freiheit entlassen können. Nicht, dass das Kind Sie nicht mehr brauchen würde, doch ist es fähig, weitgehend selbst zu entscheiden, in welchen Situationen es Ihre Unterstützung oder Ihre Meinung einholen sollte, da es ein Gespür für Gefahren entwickeln konnte.

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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