Erklären

Aus 2 x 2 der Erziehung
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Kinder stehen in unserer Welt vor einer Unmenge an Rätseln und Ungewissheiten. Und oft bitten sie ihre Eltern um Aufklärung, doch nicht immer. Gerade die ersten, alles entscheidenden Jahres des Kindes dürfen, ja sollten etwas vom Mystischen behalten dürfen, das Kinder bei ihrer Geburt mitbringen. Kommt dazu, dass Kinder in dieser Zeit in sehr einfachen Schemen funktionieren und mit der Komplexität des Lebens, gerade in der westlichen Zivilisation, noch nichts anfangen können. Und schliesslich gibt es Fälle, da Erklärungen bloss kontraproduktiv wären. Als Eltern haben Sie deshalb nicht nur die Aufgabe, Ihren Kindern Antworten auf deren Fragen zu geben, sondern auch ein Gespür dafür zu entwickeln, ob, wieviel und wie Sie etwas erklären sollen.

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Kontraproduktive Erklärungen

In den ersten Phasen der Erziehung gibt es vor allem zwei Bereiche, bei denen Erklärungen nicht bloss unnötig, sondern meistens sogar kontraproduktiv sind:

Gefühle

Gefühle brauchen keinerlei Erklärung, sie sind einfach. Ein Kind, das zum Beispiel traurig ist, braucht Ihre Aufmerksamkeit und Trost, sonst gar nichts. Vermeiden Sie es vor allem in der Phase der Vertrauensbildung dem Kind zu erklären, weshalb es traurig ist oder weshalb ihm etwas weht tut. Das wird dem Kind nämlich gar nichts helfen, sondern es wird sich höchstens abgelehnt und unverstanden fühlen. Erklärungen werden nichts an den Gefühlen ändern, im besten Fall werden diese verstärkt, das Kind beginnt dann zum Beispiel noch mehr zu schreien. Erst wenn sich das Kind wieder beruhigt hat und es danach fragt, können Sie ihm zum Beispiel erklären, dass es zu viel vom noch heissen Brei auf den Löffel genommen hat und sich deshalb die Zunge verbrannt hat. Meistens ist aber auch das nicht nötig, da das Kind den Zusammenhang ja gerade selbst erfahren hat und so daraus lernen kann.

Gefühle des Kindes brauchen also keine Erklärungen, aber umso mehr Ihre Aufmerksamkeit. Denn als Eltern müssen Sie lernen, zwischen den (für Sie sichtbaren) Emotionen und den (nur für das Kinds selbst wahrnehmbaren!) Gefühlen zu unterscheiden. Das heisst, Sie sollten zum Beispiel das schreiende Kind fragen, ob es traurig ist oder ob ihm etwas weht tut (oder ob es bloss vom Zwiebeln schälen Wasser in den Augen hat).

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Grenzen

Vergleichbares gilt später in der Phase der Willensbildung, also ab etwa dem dritten Lebensjahr, wenn Sie dem Willen des Kindes Grenzen setzen müssen. Sagen Sie laut und deutlich "Nein!" und verzichten Sie grundsätzlich auf sämtliche Erklärungen Ihrer Haltung. Der Wille des Kindes ist anfangs absolut und kompromisslos. Ihr Widerstand muss es deshalb genau so sein. Wenn aus dieser Konfrontation ein Tobsuchtsanfall des Kindes entsteht, ist das nur natürlich und ein Zeichen seiner gesunden Entwicklung. Entscheidend ist aber, dass Sie lernen angemessen darauf zu reagieren. Erst wenn sich das Kind ausgetobt hat und Sie sich mit ihm wieder versöhnen konnten, verlangt es vielleicht (!) nach Erklärungen. Dann können und sollen Sie ihm diese selbstverständlich auch geben (und am besten auch gleich noch mit ihm vereinbaren, wie Sie in Zukunft solche Situationen angehen). Vorher sind Erklärungen aber höchst kontraproduktiv und werden die Wut des Kindes nur noch unnötig verstärken. Denn in der Phase der Willensbildung geht es dem Kind zumindest anfangs weit weniger um das vordergründige Ziel, als vielmehr um den Willen an sich!

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Heikle Erklärungen

Im weiteren gibt es Situationen, die von Ihnen viel Aufmerksamkeit erfordern, da Sie mit Ihren Antworten das Kind überfordern oder ihm etwas von seiner kindlichen Unbefangenheit nehmen könnten. Geben Sie deshalb grundsätzlich immer nur auf das Antwort, was das Kind auch wirklich fragt und vergewissern Sie sich jeweils, ob das Kind mit der Antwort auch etwas anfangen kann. Sie werden nämlich immer wieder staunen, dass es zum Beispiel gar nicht so sehr an der Aufklärung eines Geheimnisses interessiert ist, weil ihm die Wahrheit noch zu fremd oder zu hart ist.

Märchen

Märchen arbeiten regelmässig mit den Stereotypen von Gut und Böse. Sie sind deshalb für Kinder besonders verständlich und brauchen denn auch meistens keine weiteren Erklärungen. Wenn das Kind aber fragt, weil es etwas nicht verstanden hat, sollen Sie ihm natürlich so viel erklären, bis es zufrieden ist mit Ihrer Antwort. Häufig genügt es, dass es sich selbst einen Reim machen kann, es muss nicht zwingend alles verstanden haben. Vermeiden Sie aber möglichst irgendwelche Interpretationen, da sonst die Wirkung von symbolischen Aussagen, von denen Märchen ja leben, verloren gehen könnte. Auch das Geheimnisvolle darf erhalten bleiben, jedenfalls solange sich das Kind deswegen nicht zu sehr ängstigt.

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Mystisches

Kinder können noch sehr lange in einer Art Zwischenwelt leben, in der sich das Reelle mit dem Mystischen spielend und laufend vermischt. Dazu gehören auch Tagträumereien. Lassen Sie das Kind, aber interessieren Sie sich für diese Welt. Die meisten Kinder erzählen sehr gerne davon. Verzichten Sie aber auch hier auf irgendwelche Interpretationen oder Rationalisierungen. Und wenn sich das Kind zum Beispiel vor dem Wolf unter dem Bett fürchtet, nehmen Sie das ernst und schauen mit ihm nach, was wirklich unter dem Bett ist. Sie brauchen ihm den Wolf aber nicht auszureden, denn mit grösster Wahrscheinlichkeit hat er symbolischen Wert (häufig für den Willen oder das archetypisch Männliche). Auch das brauchen Sie ihm nicht zu erklären. Sie könnten aber zum Beispiel nachfragen, was es mit Wolf am liebsten machen würde. Oder Sie könnten Ihnen von damals erzählen, wie es Ihnen als Kind damit erging. Oder es fragen, ob es das Märchen vom Wolf mit den sieben Geisslein hören möchte.

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Träume

Träume sind für Kinder ebenso geheimnisvoll wie für Erwachsene. Sie können phantastisch, aber auch furchteinflössend sein. Da Kinder meist noch an der Schwelle von der magischen zur realen Welt leben, können sie sehr wohl und gut damit umgehen, dass nicht immer alles schlüssig erklärbar ist. Sie brauchen dem Kind deshalb auch nicht jede Ungewissheit aufzuklären („Ich weiss es auch nicht so genau“ oder „Das könnte schon so sein: Was glaubst Du denn?“). Für das Kind wird es in der Regel nämlich genügen, dass Sie ihm zugehört haben und allenfalls seine Sorgen ernst nehmen. Ob dann der Wolf wirklich unter dem Bett schläft oder nicht, ist dann meist nicht mehr ganz so wichtig. Unbedingt vermeiden sollten Sie hingegen Interpretationen der Träume. Es gibt zwar durchaus die Meinung, dass Träume etwas für das künftige Leben des Menschen mitteilen wollen (während die andere Haltung ist, dass der Mensch in Träumen bloss Vergangenes verarbeitet, die Sache damit also gewissermassen auch schon erledigt ist), doch ist es höchst heikel, wenn Dritte - wozu auch die Eltern gehören! - die Botschaften zu entschlüsseln versuchen. Wenn schon, sollten Sie sich darauf beschränken, dem Kind Fragen zu stellen, sodass es mit eigenen Antworten herausfinden kann, um was es geht. Bedenken Sie auch, dass Menschen, die im Traum erscheinen, häufig bloss symbolhaft für etwas stehen, dass es also nicht um diese Menschen selbst geht.

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Erziehungsfragen

Leider kommen gerade Eltern, die sich intensiv mit Erziehungsfragen auseinandersetzen, in Versuchung, das Kind aus Gründen des Respekts in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Dem liegt allerdings ein Missverständnis zugrunde, denn zwischen den Eltern und dem Kind besteht in dieser Beziehung eine Hierarchie: Für die Erziehung des Kindes sind Sie als Eltern in den ersten Jahren allein verantwortlich, das Kind wäre mit einer solchen Auseinandersetzung noch überfordert. Denn die sogenannte Metaebene erfordert eine gewisse Fähigkeit an Selbstreflexion, die Kinder in der Regel erst etwa mit der Pubertät erreichen. Über das Thema "Erziehung" sollten Sie also erst dann zu diskutieren beginnen, wenn die Anregung dazu vom Kind selbst kommt.

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Notwendige Erklärungen

Fragen des Kindes

Fragen des Kindes sollten grundsätzlich immer beantwortet werden, ganz gleich, um was es geht. Es gibt keinen Grund, dem Kind irgendetwas zu verheimlichen, das es wissen will. Das gilt gerade auch für Fragen, die für Sie heikel sind. Eine Tabuisierung wäre sehr kontraproduktiv. Die Antworten müssen aber so sein, dass sie das Kind versteht. Gerade in den ersten Phasen der Erziehung müssen Sie auch mit Vereinfachungen arbeiten, das heisst, entweder ist etwas gut oder schlecht. Das Kind braucht Klartext, mit Nuancen wäre es noch überfordert. Wenn das Kind mehr Details wissen will, wird es solange nachfragen, bis es zufrieden ist. Sie dürfen in diesem Fall also ruhig eine Art "Salamitaktik" anwenden.

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Sexuelle Aufklärung

Die meisten Kinder wollen schon sehr früh wissen, woher sie kommen und "wie das alles funktioniert". Allerdings beschränkt sich ihr Wissensdurst in der Regel noch auf den sachlichen Aspekt der Fortpflanzung, die sexuellen Gefühle der Eltern interessieren sie nicht. Das macht die sexuelle Aufklärung für die meisten Eltern denn auch viel einfacher. Allerdings können auch schon Kinder durchaus sexuelle Gefühle erleben, die sich aber von denen geschlechtsreifer Menschen wesentlich unterscheiden. Und Kindern geht es damit meistens ähnlich wie den Eltern: sie wollen diese Erfahrungen lieber für sich behalten. Dabei geht es auch um gegenseitigen Respekt. So dürfen Sie denn auch einmal eine Antwort verweigern, weil Sie etwas für sich behalten wollen. Sie müssen dabei bloss ehrlich sein, also dem Kind zum Beispiel sagen, dass das Ihr Geheimnis sei (und ihm nicht etwa vorhalten, es sei respektlos oder das würde es sowieso nicht verstehen).

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"Realität des Lebens"

Ob Kinder wirklich aus dem "Paradies" kommen, mag eine Glaubensfrage sein und ist für die Erziehung auch nicht weiter relevant, ganz sicher aber kommen sie ohne irgendwelche bösen Absichten, aber umso mehr im Vertrauen in eine heile Welt. Eine Welt, die leider auch Schattenseiten hat wie Gewaltmissbrauch, Missgunst, Armut, Umweltzerstörung und ähnliches. Solange das Kind sich vor allem innerhalb der Familie bewegt, können (und sollen) Sie es zwar noch weitgehend davor schützen, doch irgendwann wird es damit wohl oder übel konfrontiert und Sie um Erklärung für all das Schreckliche bitten. Sie werden dabei eine Art Seiltanz wagen müssen, denn einerseits können die Schrecken dieser Welt für ein Kind schon traumatisch sein, wenn es diese bloss bloss hört oder sieht. Andererseits müssen Sie es auch darauf vorbereiten, ansonsten es später kaum damit klarkommen wird. Dabei spielt der Konsum von Unterhaltungselektronik eine ganz wesentliche Rolle, sind doch schon die Nachrichtensendungen voll von Katastrophen und Gewaltmissbrauch aller Art. Zumindest davor sollten Sie Kinder in den ersten Jahren noch fernhalten. Wenn das Kind hingegen miterlebt, wie Mitmenschen zum Beispiel die Umwelt verschmutzen, und Fragen dazu stellt, müssen Sie diese natürlich beantworten. Das Gute daran ist, dass Sie sich dabei auch gleich selbst Gedanken zu Ihrem eigenen Veralten machen können (zum Beispiel zu Ihrem Mobilitätsvehalten).

Kinder können im übrigen erstaunlich gut mit traumatischen Erlebnissen umgehen, wenn sie diese nicht verdrängen müssen und von den Eltern wenigstens wirklichen Trost erhalten. Eine Tabuisierung wäre also fehl am Platz.

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Erklärungen als Gratwanderung

Zusammenfassend könnte man also sagen: Erklären Sie dem Kind alles, wonach es fragt - aber auch nur, wonach es fragt. Das ist eine Art Gratwanderung, bei der Sie sich auf das Gespür des Kindes verlassen können und damit gleichzeitig Ihr eigenes Gespür stärken können.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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