Ausdauer des Kindes

Aus 2 x 2 der Erziehung
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Die Entwicklung des Kindes ist vor allem ein Lernprozess. Und dieser Lernprozess erfordert Ausdauer und Geduld. Geduld von den Eltern und Ausdauer vom Kind. Doch während die Eltern die nötige Geduld häufig erst noch lernen müssen, bringt das Kind von Natur aus bereits genügend Ausdauer mit, das heisst, genau so viel, wie es braucht, um etwas Neues zu lernen.

^ nach oben

Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Kinder haben eine unglaubliche Ausdauer, jedenfalls für das, was ihnen gerade wichtig ist. Ein hungriger Säugling beispielsweise wird so lange unermüdlich schreien, bis er gestillt ist, auch wenn es Stunden dauert. Können Sie sich vorstellen, dass Sie als Erwachsener noch einmal so viel Kraft aufbringen um ein Ziel zu erreichen, das Ihnen wichtig ist? Wenn es um die Grundbedürfnisse geht, sorgt also schon allein der Lebenswille des Kindes dafür, dass seine Ausdauer nahezu grenzenlos ist.

Umgekehrt muss aber auch bedacht werden, dass bereits dieser Lebenswille gebrochen werden kann. Dann nämlich, wenn das Kind zum Beispiel einfach so lange schreien gelassen wird, bis es resigniert. Es hat dann schon früh gelernt, dass ihm nicht geholfen wird, so sehr es sich auch anstrengt. In den beiden ersten Jahren, also der Zeit der Vertrauensbildung, ist es deshalb ganz entscheidend, dass alle Grundbedürfnisse des Kindes unbedingt und möglichst sofort gestillt werden. Das gilt selbstverständlich nur für die Grundbedürfnisse, also Dinge wie Nahrung, Geborgenheit, Beachtung, Trost und nicht etwa für Wünsche (die von Natur aus aber sowieso erst mit der Willensbildung, also ab etwa dem dritten Lebensjahr, aufkommen!).

Das Kind hat aber nur so viel Ausdauer, wie es auch tatsächlich für seine Vorhaben benötigt. So kann es zum Beispiel nicht etwas "auf Vorrat" machen, da es noch vollkommen in der Gegenwart lebt, die Zukunft ihm also ziemlich gleichgültig, gar weitgehend unbekannt, ist. Es macht denn auch überhaupt keinen Sinn zum Beispiel von ihm zu verlangen, dass es ein Puzzle fertig machen soll, weil es dann am nächsten Tag ein neues erhalten würde. Wenn sich das Kind mit einem halbfertigen Puzzle begnügt, sollten Sie es dabei belassen. Sie müssen lediglich darauf achten, dass das Kind während dem Spiel nicht künstlich abgelenkt wird ("Wenn Du das fertig hast, bekommst Du noch...", "Du kannst ja dann auch noch mit dem Geschenk der Tante weiterspielen", "Hast Du Dich für das Puzzle denn auch schon bedankt?").

Wenn das Kind immer wieder die Erfahrung macht, dass es sich lohnt Ausdauer aufzubringen, fühlt es sich in seinem Dasein bestätigt und kann entsprechend Selbstvertrauen entwickeln. Als Eltern müssen Sie deshalb vor allem in den beiden ersten Lebensjahren darauf achten, welches die Grundbedürfnisse sind und sollten diese wenn immer möglich sofort und ausreichend befriedigen.

Von Ihnen als Eltern wird in dieser Phase vor allem Geduld verlangt, das heisst Sie müssen es möglichst dem Entscheid des Kindes überlassen, wann es genug hat und wann es noch weiterspielen mag. Denn Kinder haben nicht viel oder wenig Ausdauer, sondern genau so viel, wie sie gerade brauchen!

^ nach oben

Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Wenn das Kind beginnt, seinen Willen zu entwickeln, also ab etwa dem dritten Lebensjahr, nimmt seine Ausdauer nochmals eine andere Dimension an. Während es bisher sozusagen nach dem Lustprinzip handelte, entdeckt es nun die Kraft des Willens, mit dem seine Vorhaben richtiggehend gestärkt werden: Der Wille macht das Kind gewissermassen widerstandsfähig gegen Ablenkungen Hindernisse. Diese sogenannte Autonomiephase ist für die Persönlichkeit fundamental, denn der Wille ist, nebst dem Selbstvertrauen, die wohl wichtigste Kraft des Menschen überhaupt.

Allerdings muss dieser Wille gewissermassen kultiviertert werden. Dazu dienen dem Kind zunäcsht Herasuforderungen, an denen es seine Kräfte und Geschicklihckeit messen kann. Nehmen Sie es desahlb mit in die freie Natur und zeigen Sie ihm, wie es zum Besipiel mit einem Messer schnitzen kann oder suchen Sie mit ihm Kräuter im Wald. Zudem müssen Sie ihm nun zeigen, dass sein Wille an die Grenzen seiner Umgebung stossen kann. Als Eltern werden Sie in dieser Phase lernen müssen, „Nein“ zu sagen und konsequent dabei zu bleiben. Andernfalls werden dem Kind die nötigen Leitplanken fehlen und es wird unweigerlich vom Weg abkommen, da es weder Gefahren selbst erkennen kann, noch Rücksicht auf seine Mitmenschen nehmen kann. Das Ziel sollte also ein freier Wille sein, sodass das Kind zu einem selbständigen und beziehungsfähigen Menschen reifen kann.

Wenn das Kind erfahren hat, dass es mit seinem Willen erstens enorm viel erreichen kann, und ihm zweitens gelehrt wurde, die Grenzen seiner Umwelt zu respektieren, wird es bereits mit etwa vier Jahren so reif sein, dass es mit seiner Persönlichkeit in der Gesellschaft bestehen kann. Oder anders ausgedrückt: es ist erfolgreich sozialisiert. Sein Selbstvertrauen und sein Wille sind die Grundlage, um seine ganze Kreativität auszuleben.

Werden dem Kind hingegen keine oder nicht konsequent genug Grenzen gesetzt, werden Sie seine Ausdauer auf ganz besondere Art und Weise erleben: es wird nämlich von sich aus solange Grenzen suchen, bis es diese gefunden hat. Das kann sowohl sehr mühsam sein, weil Sie das Kind als ewig zwängend, nervend oder gar als querulant erleben oder aber ausgesprochen gefährlich, nämlich dann, wenn das Kind ausserhalb Ihrer Aufmerksamkeit seine Grenzen in unnötigen oder zu grossen Risiken sucht, die es nicht mehr meistern kann. Es droht dann sehr schnell zum Störenfried zu werden.

^ nach oben

Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Für den Erhalt der natürlichen Ausdauer sind also ausschliesslich die ersten vier Jahre des Kindes massgebend. Allerdings ist es leider oft so, dass erst mit dem Eintritt in die (Vor)Schule bemerkt wird, dass die Ausdauer bereits so stark beeinträchtigt wurde, dass das Kind Mühe hat, "an etwas dran zu bleiben". Noch heikler wird es, wenn die Ursache dafür auch noch beim Kind statt bei den Eltern gesucht wird (oder gar an die Schule abgeschoben wird): Dem Kind drohen psychologische Abklärungen und Therapien aller Art. Ist die Ausdauer nämlich erst einmal beeinträchtigt, sind Korrekturen in Form von "Nacherziehen" alles andere als einfach.

Wenn es Ihnen aber gelungen ist, in den ersten Jahren dem Kind seine natürliche Ausdauer zu belassen, brauchen Sie sich danach nicht mehr gross darum zu kümmern. Nötig ist dann noch ein gewisser Schutz vor all den Ablenkungen unserer Zivilisation, insbesondere vor Unterhaltungselektronik und Werbung. Diese äusserst penetranten (und zudem erfolgreichen!) "Verführer" sollten zumindest in den ersten vier Jahren des Kindes absolut tabu sein und auch danach nur insoweit dem Kind zugemutet werden, als es mehr oder weniger unvermeidlich ist.

^ nach oben

Erhalt der Ausdauer

Ausdauer hat das Kind also von Natur aus. Wichtig ist deshalb, dass Sie als Eltern dafür sorgen, dass es diese Ausdauer auch behält:

  • Befriedigung der Grundbedürfnisse: In den beiden ersten Lebensjahren ist es essenziell, dass das Kind, wann immer es Hunger hat, gestillt wird, wenn es traurig ist, getröstet wird und wenn es Nähe braucht, gehalten wird. In dieser Phase hat das Kind genau so viel Ausdauer, wie es braucht, bis es erhält, was nötig ist! Die unbedingte Befriedigung der Grundbedürfnisse des Kindes mag eine sehr grosse Last sein (und Sie werden gelegentlich auch Ihre eigenen Grenzen beachten müssen!), doch wird sich die Anstrengung schon sehr bald vielfach auszahlen, da das Kind dafür umso schneller an Selbstvertrauen und Selbständigkeit gewinnt!
  • Geduld: Mit Kleinkindern müssen Sie lernen, wieder "ein paar Gänge runterzuschalten". Kinder brauchen Zeit zum lernen, nicht viel oder wenig, sondern eben so viel, wie nötig. Als Eltern müssen Sie deshalb lernen, sich insbesondere beim (noch so gut gemeinten!) Helfen zurückzuhalten und genügend Toleranz aufzubringen, das eine oder andere Missgeschick in Kauf zu nehmen.
  • Konsequente Grenzen: Wenn das Kind ab etwa dem dritten Lebensjahr beginnt seinen Willen zu entwickeln, geht es plötzlich um etwas anderes: es hilft dann wenig, wenn Sie einfach alles geduldig tolerieren, was dem Kind so einfällt, sondern Sie müssen dort Grenzen setzen, wo es nach Ihrer (!) Einschätzung zu weit geht. Das Kind muss Ihren Widerstand in Form eines laut und deutlich ausgesprochenen "Neins!" spüren. Genau dieser Widerstand wird ihm helfen, seine Ausdauer, die nun um die Kraft des Willens verstärkt wird, zu bestätigen.
  • Verantwortung überlassen: Lassen Sie Ihre Kinder möglichst alles von Anfang an selbst entscheiden - und lassen Sie sie auch die Konsequenzen davon selbst tragen! Wenn ein Kind zum Beispiel selbst entscheiden darf, ob es mit den Sandalen wandern darf (statt mit den von Ihnen empfohlenen Trekkingschuhen), wird es auch viel einfacher mit den allenfalls damit verbundenen Mühen umgehen können und so ganz nebenbei auch noch seine Ausdauer stärken. Natürlich müssen Sie sich als Eltern jeweils überlegen, ob das Kind die Verantwortung auch tatsächlich tragen kann, doch können Sie vom Grundsatz her zunächst davon ausgehen, dass das Kind mit allem umgehen kann, was es selbst verursachen durfte! Kinder werden heutzutage im übrigen eher unter- als überfordert!
  • Herausforderungen: Zudem lieben Kinder Herausforderungen, gerade wenn sie beginnen, ihren Willen zu entwickeln. Diese Kraft sollten Sie als Eltern unbedingt für etwas Positives nutzen, auch wenn es bloss kleine Wettrennen oder Spiele sind. Sie brauchen das Kind auch nicht immer aus lauter Grosszügigkeit gewinnen zu lassen, zumal es durchaus auch Spiele wie zum Beispiel Gedächtnis-Spiele gibt, in denen Kinder von Natur aus besser als Erwachsene sind.

^ nach oben

Beeinträchtigung der Ausdauer

Demgegenüber gibt es einige "Möglichkeiten", die Ausdauer des Kindes schon sehr früh, aber um so nachhaltiger, zu stören. Das geschieht zwar meist unbewusst und häufig sogar noch auf eher belustigende Art, doch sollte bedacht werden, dass eine Beeinträchtigung der Ausdauer in den ersten vier Jahren später kaum mehr korrigiert werden kann!

  • Resignieren lassen: Am heikelsten ist die in früherer Zeit noch gang und gäbe Methode des "Schreien lassen, um die Lungen des Kleinkindes zu stärken". Ganz abgesehen davon, dass das nach heutigen Erkenntnissen schon aus medizinischer Sicht ein Unsinn ist, ist es aus erzieherischer Sicht in höchstem Masse bedenklich: Ein (Klein)Kind schreit immer nur dann, wenn ein Grundbedürfnis nicht befriedigt ist. Und Grundbedürfnisse müssen immer und möglichst sofort befriedigt werden, ansonsten das Kind das Vertrauen in seine Eltern verliert und entsprechend Mühe haben wird, Selbstvertrauen aufzubauen. Wenn das Kind solange schreien gelassen wird, bis es aufhört (was im übrigen sehr lagen dauern kann und für die Eltern eigentlich auch gar nicht zum aushalten ist), hat es schlicht resigniert. Ein Kind, das immer wieder resigniert, verliert nicht nur sein Vertrauen ins Leben, sondern irgendwann überhaupt seinen Lebenswillen.
  • Unterbrechen und Stören: Die wichtigste Ursache für mangelnde Ausdauer der Kinder sind wohl Unterbrechungen und Störungen durch die Eltern: Wenn Eltern dauernd meinen, sie müssten beim Kind irgendwo nachhelfen, irgend etwas zurechtrücken oder da noch einen Vorschlag anmelden und dort noch eine Verbesserung beliebt machen, obwohl das Kind eigentlich mit sich ganz zufrieden ist, ist das vor allem ein Zeichen dafür, dass die Eltern zu wenig Vertrauen in ihr Kind haben: Sie muten ihm nicht zu, dass es erstens selbst weiss, was es braucht und dass es zweitens, wenn ihm etwas fehlt, nicht selbst auf sich aufmerksam machen kann.
  • Reizüberflutung: Der Wohlstand, in dem wir in der westlichen Zivilisation im allgemeinen leben, hat für Kinder leider auch seine Schattenseiten: Die industrielle Produktion macht es heute einfach, von Lebensmitteln über Spielsachen bis zur Wohnungseinrichtung alles in schrillen Farben und womöglich noch akustisch oder gar olfaktorisch untermalt zu produzieren. Auf diese Reizüberflutung reagieren Kinder ganz besonders sensibel, da sie einerseits dauernd abgelenkt werden und andererseits mit der Schwemme an Eindrücken schnell überfordert sind.
  • Werbung: Eine besonders heimtückische Form von Reizüberflutung ist für Kinder die heutige Werbeflut, der sich auch aufmerksame Eltern, gerade in städtischen Gebieten, kaum mehr entziehen können.
  • Unterhaltungselektronik: Steuern können die Eltern hingegen den Konsum an Unterhaltungselektronik. Geräte wie TV, Smartphone, aber auch elektronisches Spielzeug sollten für Kinder durchaus als eigentliche Droge betrachtet werden: Die Versuchung des farbigen Bildschirms mit viel Bewegung und Farbe ist riesig, das Suchtpotential von Spielen auch und die Folgen davon können ähnlich verheerend sein wie zum Beispiel beim Alkohol: Was zunächst harmlos und lustvoll beginnt, kann sehr schnell zur eigentlichen Sucht werden. Zwar mag es kindgerechte elektronische Spiele geben, bezüglich der natürlichen Ausdauer sind aber auch diese höchst problematisch: Die Anziehungskraft ist derart unnatürlich hoch, dass das Kind schon bald nur noch durch die technischen Raffinessen gefesselt wird und die Aufmerksamkeit für nichttechnische Beschäftigungen sehr schnell verloren geht. Unterhaltungselektronik aller Art sollte deshalb in den ersten vier Jahren des Kindes absolut tabu sein. Und selbst in der Grundschule ist der Einsatz von Computern höchst fragwürdig. Auch wenn unsere Gesellschaft für das digitale Zeitalter fit zu halten ist, genügt es vollkommen, wenn mit dem Einsatz digitaler Hilfsmittel in der Mittelschule begonnen wird. Es genügt schon, dass die meisten Erwachsenen auf Nachfrage zugeben müssen, von digitalen Kommunikationsmitteln vor allem abgelenkt zu werden und kaum ein Produktivitätsgewinn bewirkt werden kann!
  • (Negatives) Verwöhnen: Ziemlich offensichtlich dürfte sein, dass Kinder, denen "alles abgenommen" wird, über kurz oder lang ihre eigene Motivation verlieren, sich für etwas anzustrengen. Die Grenze zwischen positivem und negativem Verwöhnen ist allerdings ziemlich subtil, vor allem wenn es darum geht, Grundbedürfnisse von Wünschen zu unterscheiden.

^ nach oben

Weiterführende Themen

^ nach oben

Übergeordnetes Thema

^ nach oben

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


^ nach oben