Allmachtsphantasien

Kinder haben vor allem in der Phase der Willensbildung Allmachtsphantasien. Ihr frisch erwachter Wille kann ihren Vorstellungen sprichwörtlich Flügel verleihen: sie spüren, dass „wo ein Wille ist, auch ein Weg ist“. Das ist zwar ein Zeichen ihrer gesunden Entwicklung, doch ist es entscheidend, wie Sie als Eltern darauf reagieren.

Angemessene Reaktion

Herausforderungen und Grenzen

Wenn das Kind beginnt, seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, spürt es, dass es mit dieser riesigen Kraft plötzlich unheimlich viel erreichen kann. So kann es zum Beispiel, wenn es irgendwo hochsteigt, ohne weiteres behaupten, dass es auch gleich den höchsten Gipfel der Welt ersteigen würde. Oder anders gesagt: Das Kind sucht und braucht Herausforderungen. Gehen Sie mit ihm möglichst viel in die freie Natur und lassen Sie es Äste herumschleppen und grosse Steine tragen. Die westliche Zivilisation mit all ihren Annehmlichkeiten, die wir Erwachsenen so schätzen, bietet Kindern leider nicht mehr genügend Herausforderungen, Sie müssen also selbst dafür sorgen. Beziehen Sie deshalb Ihre Kinder möglichst in ihre alltägliche Hausarbeit mit ein, indem Sie sie zum Beispiel mithelfen lassen, die Einkäufe zu verstauen oder die Wäsche hochzutragen. Das Kind muss erfahren können, wo seine Kräfte an Grenzen stossen. Je mehr es diese Grenzen erfährt, desto besser wird es seine Kraft einschätzen können und allmählich auch seine Allmachtsphantasien verlieren. Gleichzeitig erfährt es, was es mit seinem Willen tatsächlich alles erreichen kann, wenn es seine eigenen Grenzen und die der Umgebung respektiert.

Träume

Das heisst aber nicht, dass Sie dem Kind die magische Seite seines Erlebens, wie zum Beispiel Rollenspiele, Zaubertricks oder Träume, nehmen sollen. Ganz im Gegenteil: Lassen Sie ihm den Glauben an das Wunderbare und das Unmögliche, es ist der Motor um Grosses zu erreichen, um sein ganzes Potential zu verwirklichen. Wenn es zum Beispiel auf den Mond fliegen will, könnten Sie ihm vorschlagen, zunächst einmal mit Weitsprüngen zu üben, oder es ermutigen, den Nachbarn mit dem Segelflugzeug zu fragen, ob es einmal mitfliegen dürfe. Sie zeigen ihm damit, dass Sie ihm zutrauen, sein Potential zu nutzen. Das gibt ihm Selbstvertrauen, sodass es mehr und mehr weiss, was es einerseits alles erreichen kann und was es an Übung und Geschicklichkeit andererseits dazu braucht.

Kontraproduktive Reaktionen

Provozieren

Allmachtsphantasien geben für manche Eltern Anlass zur Belustigung, sodass sie in Versuchung kommen, diese noch zu provozieren, wenn auch häufig unbewusst. Das ist höchst kontraproduktiv, denn dem Kind wird so die Möglichkeit genommen, seine Grenzen zu erfahren, sodass aus seinen Träumen allmählich Illusionen werden können. So werden Kindern in der Phase der Willensbildung zum Beispiel Umhänge geschenkt, mit denen Fantasiefiguren fliegen können, oder wild funkelnde Zauberschwerter. Das ist für Kinder natürlich genau das Gegenteil von Herausforderungen, die sie eigentlich brauchen würden. Solches Spielzeug erzeugt vielmehr die Illusion, dass einfach alles möglich ist, wenn die Eltern dem Kind nur genügend solcher Dinger kaufen. Noch viel mehr gilt das, wenn die Illusionen in Form von elektronischen Spielen daherkommen, denn damit wird nicht bloss die natürliche Phantasie des Kindes beeinträchtigt, sondern darüber hinaus auch noch der Bewegungsdrang. Kinder brauchen aber gerade in der Phase der Willensbildung unbedingt körperliche Herausforderungen.

Mögliche Folgen

Die Folgen solches Verhaltens der Eltern können mannigfaltig sein, abhängig von der Persönlichkeit des Kindes: von Bequemlichkeit über störendes Verhalten und Phantasielosigkeit bis zu Aggression. Wenn der Wille des Kindes zu wenig gefordert wird, wird er sich eben seinen eigenen, regelmässig destruktiven, Weg suchen. Denn der Wille ist eine Kraft, die gebraucht und durch Übung gewissermassen kultiviert werden muss.

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