Überfluss

Aus 2 x 2 der Erziehung
(Weitergeleitet von Künstliche Verknappung)
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Der wirtschaftliche Erfolg der westlichen Zivilisation hat für die Erziehung von Kindern leider nicht nur Vorteile, sondern stellt Eltern vor ein besonderes Problem: Sie müssen auch dort Grenzen ziehen, wo Sie eigentlich aufgrund der Lebensumstände Ihre Grosszügigkeit ausleben könnten. Das gilt vor allem für Dinge wie Essen, Spielsachen, Geschenke, Wohnraum, Reizüberflutung usw. Doch nicht nur materieller Überfluss ist problematisch. "Zu viel des Guten" kann auch entstehen durch übermässige Fürsorge wie Überbehüten, Übertriebenes Fördern ("Projekt Kind") oder "Freizeitstress". Das Problem dabei ist immer, dass sich das Kind gegen Überfluss noch nicht wehren kann. Es saugt alles auf wie ein Schwamm, zumal es darauf vertraut, dass alles, was von seinen Eltern kommt, grundsätzlich gut für es ist. Sinnigerweise erhalten von Überfluss betroffene Kinder umgekehrt regelmässig zu wenig an Erziehung, also Vertrauen und Grenzen, womit der Teufelskreis geschlossen ist.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Kinder in der Phase der Vertrauensbildung scheinen unersättlich zu sein: Sie wollen gehalten, gestillt, herumgetragen, liebkost und getröstet werden, und das beinahe rund um die Uhr. Dabei geht es immer um ihre Grundbedürfnisse. Diese dürfen, ja sollen Sie denn auch möglichst immer und sofort befriedigen, jedenfalls wenn das Kind danach verlangt (ansonsten es zur Zwangsbeglückung verkommt).

Vor materiellem Überfluss sollten Sie das Kind aber unbedingt verschonen. Kleinkinder brauchen weder mehrere Teddybären noch Schlafanzüge in fünf verschiedenen Farben. Kinder brauchen in diesem Alter vor allem eines: Das Vertrauen ihrer Eltern. Mit Überfluss sind sie schlicht überfordert. Diese Art von Verwöhnen ist ausgesprochen kontraproduktiv: Statt Grundbedürfnisse befriedigt, werden künstliche Wünsche provoziert.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Nicht nur kontraproduktiv, sondern geradezu verheerend ist die Wirkung von Überfluss in der Phase der Willensbildung: Wenn das Kind beginnt, seinen Willen zu entwickeln, braucht es Grenzen, also ziemlich genau das Gegenteil von Überfluss. Wenn dem Kind in dieser Phase einfach alle Wünsche erfüllt werden, wird es sehr schnell die Orientierung verlieren und seine Wünsche werden je länger desto verrückter.

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Formen des Überflusses

Zu viel Essen

Die Verdrängung der bäuerlichen Landwirtschaft durch eine hochtechnisierte Agrarindustrie hat nicht nur teils katastrophale Auswirkungen auf das ökologische Gleichgewicht, sondern führt zu einem bedenklichen Überschuss an Lebensmitteln. Dieser Überfluss ist zudem ein Problem für die Erziehung von Kindern: Während in früheren Zeiten die Eltern froh waren, dass sie für ihre Kinder überhaupt genügend Essen auftreiben konnten, sehen sie sich heute überfüllten Einkaufsregalen und wählerischen Kindern gegenüber. Es ist zwar ein sehr natürliches Verhalten, dass Menschen (wie im übrigen auch Tiere) für sich immer nur das Beste und Schmackhafteste aus der Natur heraussuchen, doch haben Einkaufszentren eben gerade nichts mehr mit einem natürlichen Angebot zu tun. In den Regalen liegt alles fertig zubereitet und in bunten Verpackungen da, sodass nicht mehr die geringste Anstrengung nötig ist.

Falls es die Umstände überhaupt noch zulassen, sollten Sie deshalb möglichst kleine Läden mit einem natürlichen, regionalen Angebot für den Bedarf an Lebensmitteln bevorzugen. Sinnigerweise hat der Überfluss an industrielle produzierten Lebensmitteln dazu geführt, dass gesundes und frisches Gemüse und Obst an vielen Orten bereits nur noch schwer erhältlich ist. Achten Sie auch darauf, dass Sie nur so viel einkaufen, wie Sie auch tatsächlich brauchen (in westlichen Ländern wird bis zu einem Drittel der Lebensmittel fortgeworfen!).

Vor allem aber sollten Sie dem Kind, jedenfalls in den ersten entscheidenden Jahren, erstens nur so viel anbieten, wie es auch tatsächlich essen mag und zweitens keine "Auswahlsendungen". Halten Sie sich auch mit Zwischenmahlzeiten zurück, indem Sie warten, bis sie das Kind von sich aus verlangt. Kinder spüren sehr wohl von selbst, ob Sie Hunger oder Durst haben und melden das auch immer gleich sofort. Seien Sie auch vorsichtig, wenn es darum geht, dass das Kind etwas nicht mag. Es ist zwar völlig natürlich, dass auch Kinder ihre Vorlieben haben (und anfangs noch mildere Düfte bevorzugen). Das heisst aber noch nicht, dass Sie immer gleich einen Ersatz besorgen müssen, sobald das Kind auch nur einen Mundwinkel verzieht!

Kinder, die gestillt werden, kommen übrigens nie in Versuchung zu viel zu trinken, da sie sich anstrengen müssen, um genügend zu bekommen. Diese Erfahrung von natürlichen Grenzen lässt sie im übrigen auch später vernünftiger mit (überschüssigem) Essen umgehen, das heisst die Gefahr, dass sie sich überessen, ist sehr viel kleiner.

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Zu viel Wohnraum

Zwar beklagen sich viele über zu wenig bezahlbaren Wohnraum für junge Familien. Doch für die entscheidenden Phasen der Erziehung ist wenig Wohnraum zumindest für die Kinder kein Problem, ganz im Gegenteil: Sie brauchen Nestwärme und fühlen sich je wohler, desto näher zusammen sie mit ihren Eltern leben und vor allem schlafen können! Gerade die Idee, dass schon jedes Kleinkind ein eigenes Zimmer haben muss, sollten Sie zumindest für die ersten Jahre überdenken. Und zwar noch umso mehr, wenn Sie von den Kindern auch noch erwarten, dass sie ausserhalb des Elternschlafzimmers schlafen sollen.

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Zu viel Spielzeug

Die Produktion von Billigspielzeug und Übergangsobjekten wie Plüschtieren und ähnlichem ist nicht nur für die Umwelt ein grosses Problem, sondern auch für Kinder in der westlichen Zivilisation, die damit geradezu überhäuft werden. Das beginnt schon mit der Reizüberflutung von farbigem Plastik: Die Sinne von Kindern sind noch sehr fein und empfindlich und sollten zumindest in den ersten Jahren vor der bunt leuchtenden Welt geschützt werden, ansonsten sie sehr schnell abstumpfen. Haben Kinder zudem mehr zum spielen, als sie brauchen, werden sie damit schlicht überfordert. Sie werden das schnell merken, wenn Ihr Kind zum Beispiel nicht einmal mehr Geburtstagswünsche nennen kann, wenn es danach gefragt wird. Zu guter Letzt wird dem mit Spielsachen überhäuften Kind auch noch die Phantasie und Kreativität geraubt, denn es wird sehr schnell den Antrieb verlieren, zum Beispiel selbst eine Lokomotive aus irgendwelchen Materialien zu basteln, wenn es schon mehrere elektrische erhalten hat. Wenn diese dann auch noch derart billig gemacht sind, dass sie schon noch kürzester Zeit kaputt sind, wird es schon in frühster Kindheit auf eine Wegwerfmentalität getrimmt, die wiederum auch nicht gerade förderlich für seine Geduld und Ausdauer ist. Elektronisches Spielzeug und erst recht Unterhaltungselektronik sollten in den ersten Jahren zudem für Kinder tabu sein, ds sich hier die Probleme noch potenzieren.

Gehen Sie also mit den Kindern besser in die freie Natur und überlassen Sie sie dem freien Lauf der Phantasie: Kinder finden immer irgendetwas zum spielen!

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Zu viele Geschenke

Ebenso problematisch wie von Spielsachen überladene Kinderzimmer, ist es, wenn Kinder an Festtagen mit Geschenken zugedeckt werden. Gerade Kleinkinder wären mit einem Geschenk vollkommen bedient. Doch gibt es Familien, in denen Kinder zuerst einmal zählen, wieviele Geschenke sie erhalten haben, da es nur noch um die Quantität geht.

Geben Sie auch hier der Qualität vor der Quantität den Vorzug, indem Sie zum Beispiel vorschlagen, dass sich die Tante mit dem Onkel zusammentun und bloss ein Spielauto schenken, dafür eines aus wertigem Metall statt zwei aus billigem Plastik. Notfalls müssen Sie auch mal intervenieren, denn nur weil es die "lieben Verwandten gut meinen", muss das noch lange nicht tatsächlich gut für Ihr Kind sein!

Das schönste Geschenk für ein Kind ist zudem immer noch Aufmerksamkeit. Wenn Sie zum Beispiel als Paten zum Geburtstag etwas mit dem Kind unternehmen, werden Sie ihm eine ungleich grössere Freue machen können. Und ganz nebenbei kommen die Eltern zu einer willkommenen Entlastung.

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Zu viel Mobilität

Die Möglichkeiten des heutigen Mobilitätsangebots mögen für Erwachsene attraktiv sein, für Kinder hingegen sind das viele Herumreisen und die häufigen Ortswechsel eher eine Qual. Kinder in den ersten, entscheidenden Jahren brauchen viel mehr die Nestwärme von vertrauten Orten. Achten Sie vor allem bei der Wohnungswahl darauf, dass die Umgebung es zum Beispiel zulässt, auch die Wochenenden zu Hause zu verbringen. Familiensiedlungen zum Beispiel ermöglichen es Kindern mit Spielkameraden zusammen zu sein und mit diesen wertvolle Beziehungen aufzubauen. Ähnliches gilt für Urlaub und überhaupt für Freizeitaktivitäten: Ein naher Wald bietet Kindern genügend spannende Beschäftigung!

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Reizüberflutung

Eine weitere Schattenseite der westlichen Zivilisation ist die andauernde Reizüberflutung durch Werbung, Musik, künstliche Düfte oder gar eigentlichem Lärm. Was für Erwachsene schon nicht einfach ist, ist es für Kinder in den ersten Jahren noch viel weniger. Gerade Kleinkinder können sich noch kaum abgrenzen, saugen also einfach alles auf, was auf sie niederprasselt. Achten Sie deshalb darauf, dass Sie Ihre Kinder möglichst davor verschonen, indem Sie zum Bespiel in kleinen Geschäften einkaufen, statt in Einkaufszentren oder mit ihnen in die freie Natur gehen, statt in Freizeitparks. Ganz tabu sollte für Kinder in den ersten Jahren Unterhaltungselektronik sein, angefangen vom Mobiltelefon bis zum TV.

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Mögliche Folgen

Paradoxererweise erhalten gerade Kinder, die im Überfluss aufwachsen, umgekehrt zu wenig von dem, was sie in erster Linie benötigen würden, nämlich Vertrauen und Widerstand: Ein Kind, das einfach alles geschenkt erhält, was es sich gerade wünscht, erfährt keine Grenzen und will immer noch mehr. Und wenn ihm zudem einfach alles gegeben und erledigt wird, braucht es weder selbst auszuprobieren noch sich anzustrengen. Folglich werden ihm die Erfahrungen und Erfolgserlebnisse genommen und es kann entsprechend wenig Selbstvertrauen aufbauen. Bequemlichkeit, mangelnde Frustrationstoleranz oder Motivation sind dann häufig die logische Folge.

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Überfluss und künstliche Verknappung

Einziges Mittel in der Erziehung ist deshalb eine Art künstliche Verknappung, um das Kind vor den Folgen dessen zu schützen, was unsere Wohlstandsgesellschaft dauernd anstrebt. Das macht die Kommunikation natürlich nicht einfach, denn Sie können nicht einfach sagen, dass Sie für den noch grösseren Lastwagen nicht genügend Geld hätten (da Sie ja lügen müssten), sondern Sie brauchen andere (plausible!) Argumente. Sie könnten dem Kind zum Beispiel sagen, dass ein Lastwagen genug ist, da es nur mit einem spielen kann. Erfinden Sie jedoch keine Notlügen, da Kinder Ihnen erstens glauben (und irgendwann entsprechend von Ihrer Glaubwürdigkeit enttäuscht sein werden) und zweitens solches Verhalten sehr schnell zum Vorbild nehmen und deshalb selbst auch schon bald zu schummeln beginnen! Die künstliche Verknappung ist zwar ein eher unnatürliches Verhalten, doch können Sie dadurch immerhin lernen Grenzen zu setzen. Notwendig ist das Mittel der künstlichen Verknappung auch, um wählerisches Verhalten beim Essen und Trinken zu verhindern.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

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