Bedürfnisse der Eltern
Die Geburt eines Kindes verändert die Prioritäten der meisten Eltern fundamental. Das Kind steht von einem Tag auf den anderen im Mittelpunkt und der ganze Tagesablauf scheint sich plötzlich nur noch um die Bedürfnisse des Kindes zu drehen. Das ist an sich gut und richtig, doch müssen sich die Eltern trotzdem überlegen, welche eigenen Bedürfnisse auch noch zwingend befriedigt werden müssen. Ansonsten werden sie früher oder später erschöpft sein und darunter nicht nur selbst leiden werden, sondern auch das Kind.
Kinder sind sich sehr wohl bewusst, dass sie wortwörtlich auf Gedeih und Verderb auf ihre Eltern angewiesen sind. Sie sind deshalb schon von Natur aus äusserst kooperativ und haben offensichtlich ein eigenes Interesse am Wohlergehen ihrer Eltern! Die Abwägung zwischen Ihren eigenen und den Bedürfnissen des Kindes ist letzten Endes aber eine Gratwanderung.
Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)
Die ersten zwei Jahre, also die Phase der Vertrauensbildung, sind die weitaus intensivsten in der Entwicklung des Kindes. Das Kind braucht nicht nur sehr viel körperlich Nähe, sondern überhaupt ihr viel Aufmerksamkeit. In dieser Zeit sollten Sie ihm denn auch Priorität einräumen, denn seine Bedürfnisse sind Grundbedürfnisse, die grundsätzlich immer und sofort befriedigt werden sollten. Das heisst insbesondre, dass Sie sich dem schreienden Kind immer sofort annehmen. Bedenken Sie dabei erstens, dass das Kind in dieser Zeit ausschliesslich Grundbedürfnisse hat, also weder bloss Wünsche noch böse Absichten. Zweitens legen Sie in dieser Zeit die Basis für alles, was danach kommt. Denn nur wenn das Kind sich darauf verlassen kann, dass es bedingungslos umsorgt wird, wird es sich in seinem Vertrauen in Sie bestätigt fühlen und kann es entsprechendes Selbstvertrauen aufbauen. Dieses Vertrauen ist absolut zentral.
Wenn Sie diese Basis geschaffen haben, werden Sie danach um ein Mehrfaches "belohnt", denn je besser das Vertrauensverhältnis zwischen den Eltern und dem Kind, desto einfacher kann das Kind später auch auf Ihre Bedürfnisse Rücksicht nehmen, also mit Ihnen kooperieren. Umgekehrt werden Sie kaum nachholen können, was Sie in dieser Zeit verpasst haben, weil Ihnen zum Beispiel der Ausgang oder Ihre Freizeit wichtiger waren, während das Kind Sie eigentlich dringend brauchte. Wenn die Vertrauensbasis zu schwach ist, wird das Kind unter Umständen noch sehr lange unter Verlustangst leiden, sodass Ihr Aufwand später um ein Mehrfaches grösser ist!
Das alles bedeutet jedoch nicht etwa, dass Sie sich bis zur Erschöpfung verausgaben sollen, ganz im Gegenteil: Ihr Kind ist für sein eigenes Wohlergehen ebenso auf Ihr Wohlbefinden und Ihre Gesundheit angewiesen. Bevor Sie sich überfordert fühlen, sollen Sie sich Hilfe von aussen besorgen. In aller Regel sind Grosseltern ja gerne dazu bereit. Bei einer eigentlichen Fremdbetreuung sollten Sie in dieser Phase hingegen noch sehr vorsichtig sein und aufmerksam beobachten, inwieweit das Kind dazu schon bereit ist.
Im Sinne eines Leitgedankens können Sie davon ausgehen, dass Ihr Kind von Ihnen nicht mehr fordert als Sie zu leisten fähig sind. Allerdings müssen Sie Ihre Bedürfnisse zumindest in der Phase der Vertrauensbildung mehr oder weniger auf Ihre Grundbedürfnisse beschränken. Diese decken sich übrigens weitgehend mit den Grundbedürfnissen des Kindes.
Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)
Wenn das Kind beginnt, seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, braucht das Kind mehr und mehr Grenzen. Damit haben Sie als Eltern ganz nebenbei ein wunderbares Mittel um wieder vermehrt Ihre eigenen Bedürfnisse leben zu können. Denn nun dürfen Sie nicht nur, sondern Sie müssen dem Kind auch "Nein!" sagen. Damit setzen Sie eine Grenze und können ihm zum Beispiel sagen, dass Sie in Ruhe fertig essen möchten und es in seinem Zimmer "musizieren" soll.
Kinder können mit Grenzen sehr gut umgehen, jedenfalls wenn zuvor eine genügende Vertrauensbasis geschaffen wurde (ansonsten sie schnell mit Verlustangst reagieren). Als Eltern müssen Sie dabei klar und konsequent sein. Das geht am besten, indem Sie zusammen mit dem Kind Regeln vereinbaren (gerade Tischmanieren sind ein bestens geeignetes Thema). Auch die Fremdbetreuung ist in diesem Alter meist kein Problem mehr. Zudem können Sie Kindern nun auch erklären, warum Sie zum Beispiel gelegentlich einmal allein mit Ihrem Partner auswärts essen gehen möchten. Zählen Sie unbedingt auf die Kooperationsbereitschaft der Kinder, Sie werden staunen, wie sehr ihnen daran gelegen ist, dass es allen gut geht!
Gratwanderung
Die Abwägung zwischen den Bedürfnissen der Eltern und jenen der Kinder ist offensichtlich eine Gratwanderung. Im Zweifel - und wenn es Ihre Kräfte zulassen - sollten Sie zumindest in den beiden ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung zugunsten der Kinder entscheiden. So können Sie sicher sein, dass Sie nichts bereuen werden. Sie werden dafür später umso mehr belohnt werden, wenn Sie Ihre Erziehungsarbeit auf eine Art Begleiten reduzieren können, weil Ihre Kinder bereits mit der Sozialisation so reif sind, dass sie Ihre Bedürfnisse ohne weiteres respektieren können.
So relativiert sich denn auch einiges: Nehmen wir mal an, Sie haben drei Kinder, die im Abstand von etwa ein bis zwei Jahren geboren werden, dann wird die intensive Phase insgesamt etwa sieben Jahre dauern. Sieben Jahre "Investition" also dafür, dass Sie nicht nur drei Kindern das Leben geschenkt haben, sondern diese auch noch zu reifen Menschen erzogen haben - ganz abgesehen von all der Freude, die Sie mit Ihren Kindern in dieser intensiven Zeit ja auch noch erlebt haben.
Weiterführende Themen
Übergeordnetes Thema
- Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)
- Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)
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