Herausforderungen


Da die meisten Fähigkeiten des Kindes noch nicht oder zumindest noch nicht voll entwickelt sind, ist das ganze Leben für das Kind eine einzige, grosse Herausforderung. Und da Kinder einen unbändigen Drang haben, sich zu entwickeln, suchen und lieben sie Herausforderungen schon von sich aus. Als Eltern haben Sie bloss die Aufgabe, aufmerksam zu sein, dass Sie das Kind weder unter- noch überfordern.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

In der Phase der Vertrauensbildung ist die Bindung des Kindes zu den Eltern, insbesondere zur Mutter, besonders eng. Alles, was diese Bindung mindert, stellt für das Kind eine Herausforderung dar. In erster Linie geht es um das Thema Loslassen. Anfangs ist das noch einfach, da das Kind schon aus blosser Erschöpfung zum Beispiel die Mutterbrust wieder loslässt und einschläft. Je kräftiger das Kind aber wird, desto bewusster wird ihm der Prozess des Loslassens. Dabei hilft ihm vor allem sein von Natur aus vorhandenes Vertrauen in seine Eltern, ja überhaupt in die Welt. Damit aus diesem Vertrauen ein Selbstvertrauen wird, müssen die Eltern ihrerseits lernen, dem Kind und seinen Fähigkeiten zu vertrauen: Trauen Sie ihm zu, dass es nur nach dem verlangt, was es wirklich braucht. Denn das Kind hat in diesem Alter ausschliesslich Grundbedürfnisse, die möglichst immer und sofort befriedigt werden sollten. Nur wenn Sie das schreiende Kind sofort und bedingungslos trösten, wird sein Vertrauen in Sie und die Welt bestätigt und kann es auch wieder loslassen. Das Kind muss immer wieder erfahren, dass für es gesorgt wird, dass es nicht selbst halten muss. Dann kann es loslassen und ist sicher, dass es das Nötige wieder erhält.

Eine noch grössere Herausforderung ist für das Kind die Trennung von den Eltern. Das kommt daher, dass Kinder in diesem Alter noch keine Vorstellung von Zukunft (und auch nicht von Vergangenheit) haben: sie leben voll und ganz im Hier und Jetzt. Wenn Sie also nicht mehr in Sichtweite sind, gibt es Sie nicht mehr. Erst wenn das Kind immer wieder erfahren hat, dass Sie wiederkommen, wird es sich auf diese Regelmässigkeit verlassen. Nach und nach kann es dann auch längere Zeitabschnitte überstehen. Wichtig ist dabei, dass Sie dem Kind Zeit geben und es möglichst selbst entscheiden lassen, sich von Ihnen zu trennen.

Schon in dieser Phase suchen Kinder von sich aus Herausforderungen, indem sie sich zum Bespiel von den Eltern entfernen, stehen und laufen lernen oder irgendwo hochzuklettern probieren. Kinder brauchen dabei keine spezielle Förderung. Es genügt, dass Sie den Fähigkeiten Ihre Kindes vertrauen ("Ja, Du kannst das!") und es bestätigen ("Toll hast Du das gemacht!"). Diese Anerkennung muss zudem völlig unabhängig davon sein, ob das Kind vergleichsweise "viel" oder "wenig" erreicht hat, denn es hat immer das erreicht, was in seinen Möglichkeiten steht, also das Optimum! Natürlich müssen Sie dabei allfällige Gefahren im Auge behalten, doch geht es in diesem Alter meistens um blosse Bagatellgefahren, also solche ohne jegliche Verletzungsgefahr. Das Kind wird aber immer wieder Missgeschicke erfahren, die Ihren bedingungslosen Trost erfordern.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Wenn das Kind beginnt, seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, wird es von dieser Kraft häufig geradezu übermannt und kann zum Beispiel auch eigentliche Allmachtsphantasien entwickeln. Um nicht zu überborden, braucht es deshalb vor allem Grenzen. Die hat es nicht von Natur aus, ganz im Gegenteil: es kommt vollkommen grenzenlos zur Welt. Es liegt in der Verantwortung der Eltern, dem Kind auch angemessen Grenzen zu setzen.

Je grösser die Kräfte, je unbändiger der Wille, desto wichtiger wird es, dass Kinder mit ihrer Energie etwas bewirken dürfen. Gehen Sie mit ihnen zum Beispiel in den Wald, überqueren Bäche oder besteigen Sie Berge. Kinder lieben in diesem Alter körperlichen Herausforderungen. Selbstverständlich müssen Sie auf gewisse Gefahren achten, überprüfen Sie diese auf blosse Bagatellgefahren, also solche, die bloss weh tun können und ansonsten keinerlei Verletzungen zur Folge haben. Kinder lernen gerade auch aus ihren Missgeschicken. Sie brauchen dabei bloss ausreichend getröstet werden.

Wenn ein Kind in dieser Phase etwas will, will es das mit ganzer Kraft und aus voller Überzeugung. Das können Sie als Eltern nutzen, indem Sie es zu einer entsprechenden Leistung auffordern. Sie könnten mit ihm zum Beispiel vereinbaren, dass es das Haustier bekommt, wenn es Ihnen beweist, dass es auch über längere Zeit bereit ist, Ihnen im Haushalt zu helfen. Das wird das Kind anspornen und Sie können sehr schnell feststellen, wie ernst es dem Kind mit seiner Absicht ist. Wichtig ist, dass Sie mit ihm zusammen eine Vereinbarung finden, für die es sich auch verantwortlich fühlt.

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Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Sozialisation

Mit der Sozialisation muss sich das Kind dann auch ausserhalb des vertrauten Familienkreises behaupten können. Während die Eltern idealerweise intensiv auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen können, steht es zum Beispiel in der (Vor)Schule plötzlich in Konkurrenz zu seinen Kameraden und muss auch deren Bedürfnisse respektieren können. Wenn das Kind genügend reif ist, kann es seine ihm eigenen Persönlichkeit ausleben und gleichzeitig die Bedürfnisse seiner Kameraden respektieren. Häufig bestehen ausserhalb der Familie andere Regeln als zu Hause. So kann es zum Beispiel durchaus eine Herausforderung sein, dass das Kind am Mittagstisch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sitzen bleiben muss, während es zu Hause beliebig davon laufen darf. Kinder können damit aber sehr gut umgehen, denn die Unterschiedlichkeit von Menschen ist eine elementare Erfahrung (die Mutter hatte zum Beispiel anfangs eine ganz andere Funktion als der Vater). Wird das Kind fremdbetreut, sollten Sie deshalb auch darauf achten, dass dort klare Regeln gelten. Es spielt hingegen überhaupt keine Rolle, ob diese aus Ihrer Sicht strenger oder lascher sind. Das Kind muss einfach wissen, wo es woran ist. Sie können mit ihm auch besprechen, weshalb bei Ihnen etwas anderes gilt. Das gibt Ihnen die Chance, dem wahren Sinn der Regel auf den Grund zu gehen und dem Kind vermitteln Sie ein Gefühl von Verantwortung, da es mit Ihnen zum Beispiel etwas Neues vereinbaren darf.

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Pubertät

Mit der Pubertät kommen auf die Jugendlichen nochmals ganz neue Herausforderungen zu. Sie nehmen sich nun als sexuelle Wesen wahr, wollen in das Leben der Erwachsenen eindringen und sich gleichzeitig von den Eltern und deren Fürsorge lösen. Damit verlieren Sie als Eltern allmählich den Rest an Kontrolle, zumal Jugendliche ihre damit verbundenen Probleme nicht mehr mit Ihnen, sondern vorzugsweise unter sich besprechen und lösen wollen. Dieser Loslösungsprozess ist denn auch für die meisten Eltern wohl die grössere Herausforderung als für ihr Kind. Grundsätzlich sollten Sie die Abgrenzung respektieren. Sie können sich dabei auf die Früchte Ihrer eignen Erziehungsarbeit verlassen, das heisst, dass sich Ihre Kinder nun selbst zurechtfinden oder allenfalls Ihre Hilfe beanspruchen, wenn diese nötig ist. Eine grosse Herausforderung für beide Seiten bleibt aber: Aufgrund der je länger desto weiter auseinander driftenden sexuellen Reife (tendenziell früher) und sozialen Reife (tendenziell später), verlängert sich die Zeit des gemeinsamen Wohnens entsprechend. Die Regelung des Zusammenlebens bei häufig ganz unterschiedlichen Vorstellungen über die Wohnform oder den Schlafrhythmus ist nicht immer einfach, sodass eine Art Hausordnung sinnvoll sein kann, die zusammen ausgearbeitet wird. Schliesslich werden Sie auch damit rechnen müssen, dass Jugendliche den einen oder anderen "Hahnenkampf" oder "Zickenkrieg" austragen werden. Auch unverhältnismässige Mutproben oder Drogenexzesse sind nicht ganz zu vermeiden. Allerdings ist es so, dass die beste Prophylaxe vor derartigen Übertreibungen eine gute Basis in den ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung ist. Je reifer das Kind nach dieser kurzen Zeit ist, desto weniger muss es in der Pubertät "nachholen"! Oder anders gesagt: Je mehr Sie Ihrer eigenen Erziehungsarbeit vertrauen können, desto einfacher geht die Loslösung!

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Unter- und Überforderung

Kinder lieben also Herausforderungen und suchen diese, denn an ihnen können sie wachsen. Als Eltern dürfen Sie das natürlich durchaus unterstützen. Unterstützen bedeutet in diesem Fall lediglich, dass Sie das Kind zwar ermuntern, danach aber möglichst selbst entscheiden lassen. Ansonsten ist die Gefahr gross, dass das Kind entweder über- oder unterfordert wird. Je nach seiner Persönlichkeit will es zum Beispiel mehr oder weniger Mutproben eingehen. Und während das eine den Mut aufbringt, möglichst hoch auf einen Baum zu klettern, hat das andere die Courage, fremde Menschen auf irgendeine Merkwürdigkeit anzusprechen. Kinder haben ein hervorragendes Gespür dafür, was sie sich selbst zutrauen oder zumuten können. Das gilt gerade beim Klettern: Wenn Sie das Kind selbst, also ohne Ihre gut gemeinte Mithilfe, die einzelnen Sprossen erklimmen lassen, erfährt es auch die damit verbundene Gefahr und wird sich entsprechend vorsichtig verhalten. Helfen Sie ihm jedoch, wenn es Angst hat. Verharmlosen wäre kontraproduktiv. Und wenn es sich weht getan hat, braucht es einzig Trost.

Da Kinder in den ersten, alles entscheidenden Phasen der Erziehung im Idealfall noch voll und ganz ihren Eltern vertrauen, ist es relativ einfach, sie auch zu Dingen anzutreiben, die sie eigentlich nicht von sich aus tun würden - oder umgekehrt von Dingen abzuhalten, die sie eigentlich gerne tun würden. Häufig kommen Eltern dabei in Versuchung, mit Belohnungen und Strafen zu arbeiten (man spricht dabei auch von einem Erziehungsstil "Zuckerbrot und Peitsche"). Solches Verhalten ist natürlich kontraproduktiv.

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Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email


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