Gespür der Eltern

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Gespür ist die Fähigkeit, etwas mehr gefühlsmässig als verstandesmässig zu verstehen oder doch zumindest zu erahnen. Während Kinder diese Fähigkeit noch von Natur aus haben, müssen die meisten Eltern das für die Erziehung enorm wichtige Gespür erst wieder neu entdecken. Im Zusammenhang mit dem "Zweimalzwei der Erziehung" darf denn auch gesagt werden, dass Sie als Eltern lediglich die beiden Grundprinzipien der Erziehung verstehen sollten - und den Rest Ihrem eigenen Gespür überlassen könnten!

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Entwicklung des Gespürs

Für Eltern gibt es einige Möglichkeiten das eigene Gespür zu entwickeln. Und Sie sollten möglichst gleich von Anfang damit beginnen, denn Sie werden sich immer wieder darauf verlassen müssen:

Schwangerschaft und Geburt

Am einfachsten ist es natürlich für die werdende Mutter, das Kind zu spüren. Während der Schwangerschaft ist das Kind nicht nur mit seinem ganzen Leib im Zentrum der Mutter, sondern auch mit seiner ganzen Persönlichkeit (und seiner Seele, so Sie sich mit der Existenz einer solchen anfreunden können). Doch auch der Vater kann schon eine Beziehung zum werdenden Kind aufbauen, indem er es von aussen zu erspüren versucht und überhaupt sich mit seiner Ankunft beschäftigt. Je mehr Sie sich mit dem Kind gedanklich beschäftigen, desto mehr werden Sie auch schon in dieser Zeit Gefühle für das Kind wahrnehmen - und zwar auch als werdender Vater!

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Stillen

Besonderes Gespür ist beim Stillen gefragt. Zunächst gleich nach der Geburt, wenn die Mutter vielleicht noch die Hilfe einer erfahren Hebamme braucht. Dann aber vor allem, wenn es um das Suchen eines Stillrhythmus geht, der so individuell sein kann, wie das Kind selbst. Das ist vor allem grosse Kooperation zwischen Mutter und Kind. Als Mutter sollten Sie das Vertrauen entwickeln, dass Sie einerseits Ihrem Kind alles geben können, was es braucht (es also nicht mehr braucht, als Ihnen zur Verfügung steht) und dass Ihr Kind seinerseits spürt, was es von Ihnen erwarten darf. Wenn Sie an diese auf gegenseitiges Wohlwollen ausgerichtete Beziehung glauben, werden Sie auch nicht so schnell auf die Idee kommen, dass Ihr Kind Sie auslaugen oder gar ausnutzen könnte.

Umgekehrt geht es auch ich beim Abstillen darum, ein Gespür für den richtigen Zeitpunkt zu finden. Dabei ist nicht nur die Mutter gefordert, sondern auch der Vater, indem er zum Beispiel mehr und mehr mit dem Kind allein und über eine Stillperiode hinweg etwas unternimmt, sodass sich das Kind daran gewöhnt, nicht dauernd von der Mutterbrust versorgt zu werden und ihm das Essen vom Teller schmackhaft gemacht wird. Es geht dann also darum, nach dem Motto "Versuch und Irrtum" zu spüren, was Sie dem Kind schon zutrauen können.

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Hunger und Durst

Da das Kleinkind sich noch nicht mit Worten mitteilen kann, müssen Sie als Eltern spüren lernen, wann es Hunger oder Durst hat. Kleinkinder zeigen durch ihre Mimik und Gestik an, ob ihnen etwas fehlt. Erst in einem nächsten Schritt beginnen sie zu schreien. Sie dürfen also durchaus einen gewissen Ehrgeiz darin entwickeln, die Grundbedürfnisse des Kindes schon zu erkennen, bevor es zu schreien beginnt. Das ist reine Übungssache, Sie müssen also nach dem Motto "Versuch und Irrtum" lernen.

Vor allem Kleinkinder sollten grundsätzlich immer essen und trinken dürfen, wenn sie hungrig beziehungsweise durstig sind. Umgekehrt sollten Sie sich aber als Eltern auch zurückhalten, wenn dem Kind nicht danach ist, obwohl Sie der Meinung sind, dass es nun doch Zeit wäre. Spätestens wenn das Kind sprechen kann, sollten Sie ihm ausserhalb der üblichen Mahlzeiten und Zwischenmahlzeiten nichts mehr von sich aus anbieten, sondern warten, bis es sich selbst meldet (jedenfalls solange es gesund ist). Damit übergeben Sie ihm Verantwortung und fördern seine Selbständigkeit.

Mit der Phase der Willensbildung dürfen, ja sollen Sie dem Kind dann auch mehr und mehr zumuten, bis zur nächsten (Zwischen-)Mahlzeit zu warten, auch wenn es Hunger anmeldet: Das Kind soll lernen können, wann es Zeit ist zu essen und darf ruhig auch mal Hungergefühle entwickeln (das ist sogar gesund!). Aber auch dafür müssen Sie ein Gespür entwickeln, das heisst spüren lernen, wann Sie ihm das zumuten können und wann es damit noch überfordert ist.

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Halten und Loslassen

Säuglinge fühlen sich am wohlsten, wenn sie möglichst dauernd gehalten werden. Wenn Ihnen dabei auch wohl ist, spricht denn auch nichts dagegen, zumindest den Säugling dauernd an Ihrem Körper zu tragen, so wie es bei Naturvölkern immer noch völlig üblich ist. Irgendwann wird jedoch jedes Kind sich mehr und freier bewegen wollen. Lassen Sie das Kind deshalb immer sofort los, wenn Sie spüren, dass es sich frei bewegen möchte. Das Wechselspiel zwischen Halten und Loslassen ist gerade bei kleinen Kindern sehr subtil, da ihre Kraft ja noch sehr beschränkt ist. Sie müssen also sehr aufmerksam und auch vorsichtig sein, wenn Sie meinen, Sie würden das Kind bloss spasseshalber festhalten.

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Ja und Nein

Während Sie während der Vertrauensbildung grundsätzlich immer und zu allem "Ja" sagen dürfen, müssen Sie mit der Entwicklung des kindlichen Willens lernen, auch gezielt und konsequent "Nein" zu sagen. Ihre Reaktion auf das Kind sollte dann möglichst sofort kommen, da der Wille des Kindes anfangs noch sehr absolut sein kann. Sie müssen sich also Ihrer Haltung sicher sein und tun gut daran, sich schon im voraus auf gewisse Situationen vorzubereiten. Da Sie aber natürlich nicht alles durchspielen können, werden Sie immer wieder mal spontan entscheiden müssen. Verlassen Sie sich in solchen Momenten auf Ihr Gespür, denn es ist besser, einmal eine "falsche" Antwort zu geben, aber dabei standhaft zu bleiben, als keine oder gar eine wankelmütige. Denn Kinder vertrauen ihren Eltern von Natur aus und wollen sich auf deren Haltung verlassen können.

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Einschlafen

Kinder schlafen sehr gerne und tun das grundsätzlich auch von sich aus, bloss müssen sie zuerst noch einen Schlafrhythmus finden. Und wenn es um's Einschlafen geht, müssen sie erstens müde sein und zweitens bereit sein loszulassen. Wenn Sie also Ihr Kind zu Bett legen wollen, sollten Sie weniger auf die Uhr schauen als mehr darauf, ob das Kind wirklich müde ist (weil es zum Beispiel die Augen zu reiben beginnt). Gibt es Anzeichen von Müdigkeit fragen Sie es immer zuerst, ob es müde ist. Vielleicht wehrt es sich noch etwas gegen die Müdigkeit und Sie fragen es besser später noch einmal, vielleicht ist es aber auch genügend müde um loslassen zu können und es streckt gleich seine Arme nach Ihnen aus. Entscheidend ist, dass Sie ein Gespür für den Moment entwickeln, an dem Sie das Kind fragen. Je besser Sie diesen Zeitpunkt erwischen, desto einfacher wird das Kind bereit sein ins Bett zu gehen.

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Körperkontakt

Das beste und einfachste Mittel um ein Gespür für Ihr Kind zu entwickeln, ist der direkte körperliche Kontakt. Wenn Sie das Kind halten und tragen, findet eine unbewusste Kommunikation statt. Deshalb sind denn auch Kindertragen so wertvoll: sie stärken die Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind, während die Distanz zu einem Kind im Kinderwagen eigentlich zu gross ist, da das Sehvermögen noch nicht genügend ausgebildet ist. Gleiches sollten Sie sich auch überlegen, wenn es darum geht, wo das Kind schläft: Zumindest das Kleinkind braucht Ihre Nähe auch während des Schlafs. Wenn Sie sich fürchten um Ihren eigenen Schlaf gebracht zu werden, sollten Sie wenigstens ausprobieren, ob Sie es nicht irgendwie doch arrangieren können! Vertrauen Sie der Kooperationsbereitschaft des Kindes, Sie werden staunen, was Kindern alles an kreativen Ideen einfällt, wenn es darum geht, dass die Bedürfnisse beider Seiten befriedigt werden können.

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Nähe und Distanz

So sehr Kinder, ganz besonders Kleinkinder, die Nähe zu den Eltern brauchen, so sehr suchen sie gleichzeitig auch mehr und mehr die Distanz. Das Wechselspiel von Nähe und Distanz ist in jeder Beziehung ein Thema, in der Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind gibt es allerdings eine Besonderheit: Das Kind sollte einseitig bestimmen dürfen, wie viel Nähe oder Distanz es gerade von seinen Eltern braucht, während sich die Eltern ausschliesslich nach seinen Bedürfnissen richten sollten. Die körperliche Nähe ist ein Grundbedürfnis des Kindes. Sie müssen deshalb lernen zu spüren, wann das Kind wie viel davon braucht und es sofort wieder loslassen, wenn es genug hat. Gleiches gilt natürlich auch für Liebkosungen, ansonsten es sehr schnell zu kontraproduktiven "Zwangsbeglückungen" kommen kann

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Freiheit und Struktur

Das "Zweimalzwei der Erziehung" basiert auf einer betont freiheitlichen Einstellung zum Leben. Ziel der Erziehung ist denn auch Selbständigkeit, im Sinne eines verantwortungsvollen Umgangs mit der Freiheit. Vor allem in der Phase der Vertrauensbildung sollte das Kind wann immer möglich frei entscheiden dürfen, zu tun oder lassen, wozu es gerade Lust hat. In dieser Phase dürfen, ja sollen, Sie zunächst einmal "Ja" sagen. Lassen Sie also das Kind zum Beispiel so lange im Wasser planschen, wie es Lust hat. Das bedeutet aber nicht etwa, dass das Kind keine Struktur bräuchte, ganz im Gegenteil: Je freier sich das Kind bewegen darf, desto verlässlicher und standhafter muss sein Umfeld, insbesondere seine Eltern, sein! Denn so schön das Wasser im Beispiel ist, irgendwann wird es Hunger haben und erwartet, dass Sie das Essen vorbereitet haben. Sie sollten also nicht in Versuchung kommen, sich selbst wie ein Kind zu benehmen und einfach alles stehen und liegen zu lassen, sondern müssen eine Struktur garantieren können, von der das wilde Kind wieder gewissermassen aufgefangen wird. Aber Sie können das Mittagessen vielleicht noch ein wenig verschieben und warten bis der Hunger grösser ist als die Lust am Spiel. Vielleicht haben Sie aber auch noch andere Verpflichtungen, sodass Sie ein Gespür dafür entwickeln müssen, wann Sie etwas lockerer sein können und wann Sie strikter sein müssen.

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Zutrauen und Zumuten

Wenn Sie ein Neugeborenes in den Armen haben, mag es schwer vorstellbar sein, doch es ist so: Das Kind hat bereits sein ganzes Potential in sich, es wird laufen lernen, sprechen lernen, Kraft und Geschicklichkeit gewinnen und vieles mehr. Vor allem aber hat das Kind ein unendliches Vertrauen in das Leben und speziell in seine Eltern. Dieses Vertrauen muss aber unbedingt von den Eltern bestätigt werden, indem diese umgekehrt lernen, dem Kind und speziell dessen Fähigkeiten zu vertrauen. Trauen Sie deshalb dem Kind zum Beispiel zu, dass es den Esslöffel selbst zum Mund führen kann, wenn es schon selbst auf die Idee kommt. Natürlich müssen Sie in Kauf nehmen, dass anfangs noch einiges daneben geht oder dass das Kind denLöffel schliesslich doch wieder Ihnen hinstreckt. Doch ist es enorm wichtig, dass das Kind immer alles selbst ausprobieren darf, wonach es Lust hat. Denn jeder noch so kleine Erfolg stärkt sein Selbstvertrauen.

Spätestens wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, sollten Sie ihm auch mehr und mehr zumuten, indem Sie seinen Willen herausfordern. Es geht dann im Beispiel nicht mehr bloss darum, dass Sie das Kind mit dem Löffel essen lassen, sondern dass Sie es geradezu auffordern, das Gemüse selbst mit dem Messer zu zerschneiden.

Was und wie viel Sie dem Kind zutrauen beziehungsweise zumuten können, müssen Sie durch ausprobieren herausfinden, denn Sie sollen das Kind ja weder unterfordern noch überfordern. Sie müssen also ein Gespür dafür entwickeln, wie weit Sie gehen können. In der Regel neigen Eltern heutzutage aber eher dazu, ihre Kinder zu unter- denn zu überfordern!

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Grundbedürfnisse und Wünsche

Kinder haben in der Phase der Vertrauensbildung von Natur aus lediglich Grundbedürfnisse, die Sie als Eltern denn auch möglichst sofort und ohne jegliche Bedingungen befriedigen sollten. Erst mit der Willensbildung (in der Regel etwa ab dem dritten Lebensjahr) entwickeln Kinder weitergehende Wünsche, die natürlich nicht immer einfach so erfüllt werden sollen. In dieser Phase ist es aber nicht immer einfach, das eine vom anderen zu unterscheiden. Wenn das Kind zum Beispiel im Laden unbedingt ein Süssgebäck will, hat es vielleicht Hunger, vielleicht aber auch bloss Lust auf etwas Süsses oder etwas Neues. Sie müssen also vorsichtig sein und dem Kind zum Beispiel antworten, es könne ein Stück Brot haben, sodass Sie sehr schnell erfahren, um was es wirklich geht.

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Fragen

Spüren bedeutet schliesslich nicht etwa, dass Sie einfach den Verstand ausschalten sollen. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, auf möglichst vielen Kanälen achtsam zu bleiben. Das beste Mittel dazu ist, wenn Sie Ihre Gefühle überprüfen, indem Sie das Kind zuerst fragen, ob es zum Beispiel Hunger hat, bevor Sie ihm zu essen anbieten. Gerade die von Natur aus enge Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind verleitet häufig zur Meinung, genau zu wissen, was für das Kind gut ist. Sie sollten sich aber von Anfang bewusst sein, dass das Kind eine ganz eigene Persönlichkeit mitbringt und somit das Gleiche ganz anders empfinden kann als seine Eltern. Fragen Sie deshalb möglichst immer nach, auch wenn etwas für Sie auf den ersten Blick offensichtlich aussehen mag.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Vertrauensbildung (erstes Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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