Ernst nehmen

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Der Umgang mit Kindern darf und soll in erster Linie Spass machen. Gleichzeitig haben Kinder ganz gewichtige Anliegen und Sorgen, die Sie als Eltern ernst nehmen müssen. Gerade der Unterschied zwischen willkommenem Humor und kontraproduktiver Ironie ist häufig sehr subtil. Sie sollten ein Gespür dafür entwickeln, wann Spass und wann Ernst angebracht ist, ansonsten das Kind verwirrt wird oder sich abgelehnt fühlen wird. Erst nehmen bedeutet nichts mehr, als dass Sie das Kind so annehmen, wie es ist, ganz egal, ob es fröhlich oder traurig ist, ob es von Ihnen ein “Ja" oder ein "Nein" braucht.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

In der Phase der Vertrauensbildung geht es darum, dass Sie sich immer bewusst sind, dass das Kind ausschliesslich Grundbedürfnisse hat. Wenn es also seine Arme nach Ihnen ausstreckt oder gar schreit, fehlt ihm immer etwas und es ist immer auf Ihr Entgegenkommen oder Ihre Hilfe angewiesen. Sie müssen deshalb vor allem lernen, dem Kind zu vertrauen. Zweifeln Sie nicht an seiner Aufrichtigkeit, das Kind hat in dieser Phase weder böse Absichten noch will es Sie auf irgendeine Art manipulieren. Kleinkinder schreien nicht grundlos, sondern weil sie sich noch gar nicht anders ausdrücken können, wenn sie zum Beispiel Angst oder Schmerzen haben. Das einzige, was denn hilft, ist wirklicher Trost.

Spätestens wenn sich das Kind mit Worten ausdrücken kann, können Sie es nach dem Trösten fragen, was denn war, indem Sie es zum Beispiel nach seinen Gefühlen fragen ("Hat es Dir weh getan?" - "Bist Du traurig?"). Verniedlichen und beschwichtigen Sie aber grundsätzlich nichts. Nöte der Kinder sind in diesem Alter zunächst einmal existenziell, denn sie leben noch voll und ganz im Hier und Jetzt. Sie haben noch keine Vorstellung einer Zukunft, in der alles wieder gut werden soll. Sie vertrauen einzig, dass ihre Eltern ihnen helfen. Diese Hilfe in Form von Trost erträgt zudem keinen Aufschub, sondern sollte wann immer möglich sofort und bedingungslos gegeben werden.

Wenn Sie das Kind hingegen nicht ernst nehmen und es zum Beispiel immer wieder bloss mit Worten vertrösten ("Du kriegst ja dann wieder etwas von der Oma") oder gar verspotten ("Spiel doch nicht gleich wieder die Heulsuse!") fehlt ihm die nötige Aufmerksamkeit und es wird irgendwann nach Wegen suchen, wie es trotzdem dazu kommt, sei es in Form von Provokationen, sei es durch übermässiges Schreien. Wenn Sie dann immer noch nicht reagieren, kann es leicht zu einem eigentlichen Teufelskreis kommen.

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Wenn das Kind beginnt, seinen Willen zu entwickeln, in der Regel etwa im dritten Lebensjahr, geht es noch um etwas ganz anderes. Das Kind sagt zum Beispiel plötzlich "Nein" oder "Ich will...". Das ist für die meisten Eltern gelinde gesagt überraschend, wenn nicht geradezu erschreckend, zumal wenn das Kind bis jetzt so ziemlich alles mitmachte, was ihm vorgeschlagen wurde. Es ist aber bloss ein Zeichen der gesunden Entwicklung: Das Kind entdeckt gerade die wohl wertvollste Kraft des Menschen überhaupt, nämlich seinen eigenen Willen. Auch das müssen Sie wiederum ernst nehmen, das heisst Sie müssen den Willen des Kindes zunächst einmal respektieren. Das ist offensichtlich solange unproblematisch, als das Kind etwas will, das Sie gerne unterstützen ("Ich will selbst laufen!") oder Ihrem eigenen Willen nicht gerade entgegensteht ("Nein, ich mag nicht mehr essen!"). Wenn der Wille des Kindes aber mit Ihrem kollidiert, müssen Sie zunächst eine Vorfrage klären: Bin ich bereit nachzugeben oder geht das Kind zu weit, überschreitet es also meine Grenzen? Oder anders gesagt: Sie müssen auch sich selbst ernst nehmen und dürfen nicht einfach aus Bequemlichkeit nachgeben.

Der frisch erwachte Wille des Kindes kennt anfangs kaum Grenzen. Es gibt Kinder, die wollen einfach alles, was sie sich nur irgendwie ausdenken können, sei es auf den Mond fliegen, sei es tausend verschiedenen Modellautos zu kaufen. Sie leben ganz nach dem sinnigen Sprichwort "Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg". Ernst nehmen bedeutet dann nicht etwa, die Ideen des Kindes zu verspotten oder ihm einfach alles mit Ihren Mitteln zu ermöglichen, sondern es dabei zu unterstützen, die nötigen Schritte selbst zu unternehmen. Dabei kann ein anderes Sprichwort helfen: "Auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt". Schlagen Sie zum Beispiel dem "angehenden Astronauten" vor, einmal einen hohen Berg hochzusteigen, um dem Mond etwas näher zu kommen. So kann das Kind die schier unermessliche Energie, die es plötzlich freizusetzen mag, konstruktiv einsetzen und ein Gespür dafür entwickeln, was es braucht, um ein Ziel erreichen zu können (oder seine Ziele etwas realistischer zu setzen). Kinder in diesem Altern brauchen unbedingt Herausforderungen um sich entwickeln zu können, ansonsten ihr Wille sehr schnell verkümmern wird.

Das "Nein!" des Kindes müssen Sie schliesslich genauso respektieren wie Sie vom Kind fordern, dass es seinerseits Ihr "Nein!" respektiert. Das kann naturgemäss zu Blockaden führen, wenn sich das Kind zum Beispiel weigert, weiterzulaufen. Wenn das Kind auf seiner Absicht beharrt und Sie ebenfalls konsequent bei Ihrer Haltung bleiben ("Wir müssen jetzt weiter!"), wird es womöglich zu toben beginnen. Dann gilt es so lange auszuharren, bis sich das Kind wieder beruhigt hat. Bleiben Sie aber ruhig (!) bei ihm und versuchen Sie nicht etwa, es mit weiteren Worten zu motivieren (meistens hoffnungslos) oder es gar mit Gewalt loszureissen (äusserst kontraproduktiv). Das Kind muss diese Konfrontation unbedingt durchleben können und sich danach mit Ihnen wieder versöhnen können. Dabei müssen Sie standhaft bleiben und das Geschrei (und womöglich noch die vorwurfsvollen Blicke der Umgebung) aushalten können. Für das Kind ist das eine eminent wichtige Erfahrung, da es lernen kann, dass es seinen Willen zwar haben darf, dieser aber manchmal mit der Umwelt, insbesondere mit den Absichten seiner Eltern, zusammenstossen kann, es dabei aber immer respektiert wird. So wird es ernst genommen und fühlt sich "trotzdem" geliebt.

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Spass, Humor und Ironie

Bei allem Spass, den Sie mit Kindern haben, gilt es einen subtilen Unterschied zu beachten, nämlich den zwischen Humor und Ironie:

Wenn wir über unsere eigenen oder fremden Missgeschicke und Eigenheiten lachen können, zeugt das von einer gewissen "heiteren Gelassenheit". Kindern ist diese Fähigkeit bereits angeboren: Sie können selbst dann noch lachen, wenn der angerichtete Schaden gross ist und bei den Eltern eher Entsetzen denn Freude auslöst. Humor ist auch für Kinder leicht zu verstehen, da er keine besonderen kognitiven Fähigkeiten braucht, ja sogar ganz ohne Worte auskommen kann.

Ironie hingegen erfordert Sinn für einen gewissen Sprachwitz, den Kinder erst später entwickeln (häufig sogar erst mit der Pubertät, wenn sie zu einer gewissen Selbstreflexion fähig werden). Ironische Bemerkungen sollten Sie deshalb unbedingt unterlassen! Wenn sie mit dem Kind nicht Klartext sprechen, wird es schnell verwirrt und überfordert. Ironie wirkt kontraproduktiv. Wenn Sie zum Beispiel versuchen, das Kind mit Bemerkungen wie "Stell Dich doch noch dümmer an, dann wirst Du Dir gleich die Hände verbrennen!" zu warnen versuchen, nimmt Sie das Kind grundsätzlich einmal ernst, versteht also das, was Sie wortwörtlich gesagt haben: die Aufforderung, "sich noch dümmer anzustellen" und "sich die Hände zu verbrennen". Das Kind wird sich also dumm fühlen (da es ja von Natur aus seinen Eltern vertraut!) und da es von seinen Eltern keinen vernünftigen Rat erhalten hat (wie zum Beispiel: "Halte das Streichholz weiter hinten!") wird es in seiner Hilflosigkeit auch gleich noch bestätigt.

Die Grenze zwischen Humor und Ironie ist häufig fliessend, sodass Sie also sehr aufmerksam sein sollten: Beobachten Sie immer genau, wie das Kind reagiert. Wenn es Sie mit staunenden Augen ansieht, hat es den Spass vermutlich nicht verstanden. Dann sollten Sie ihm zumindest erklären, dass Sie "bloss ein Spässchen" gemacht haben, das so nicht ernst gemeint sei. Kinder können traurig oder gar wütend reagieren, wenn sie ihre Eltern nicht verstehen, da sie sich zu wenig angenommen fühlen. Verlassen Sie sich für die Unterscheidung auch auf Ihr Gespür: Humor ist eher verbindend, während Ironie eher trennend wirkt (und Sarkasmus gar herablassend und verletzend ist).

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Auslachen und Blossstellen

Wenn Sie das Kind auslachen oder blossstellen, wird es sich in seinem Dasein nicht bestätigt fühlen und entsprechend wenig Selbstvertrauen aufbauen können. Das geschieht meistens ohne böse Absicht, wenn Sie sich zum Beispiel mit Ihren Freunden in Anwesenheit des Kindes über dessen Missgeschicke amüsieren und meinen, dass das Kind das nicht mitbekommt (wo doch Kinder gerade in solchen Situationen "grosse Ohren" bekommen!). Die Tollpatschigkeit von Kindern mag für Erwachsene belustigend sein, doch sollten Sie sich immer bewusst sein, dass sich Kinder grösste Mühe geben, ihre Geschicklichkeit zu entwickeln und dafür Ihre volle Anerkennung verdient haben!

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