Anstandsregeln


Anstand in der Erziehung ist eines der grösseren Missverständnisse. Das hat damit zu tun, dass sich die meisten Eltern gar nicht im Klaren sind, was sie erstens unter Anstand verstehen und was sie zweitens mit Anstandsregeln überhaupt bezwecken wollen. Fragt man etwas genauer nach, geht es in der Regel entweder um ein minimales Verständnis von Manieren (insbesondere beim Essen), um gegenseitigen Respekt oder Dankbarkeit, oder um ein Gemisch von allem.

Das Problem dabei ist, dass Manieren nicht von Natur aus entstehen, sondern je nach Kultur entwickelt werden oder gar ziemlich willkürlich festgelegt werden (Die Frage zum Beispiel, ob der Mann der Frau die Türe aufhalten soll, wird je denn auch ganz unterschiedlich beantwortet). Anstandsregeln dienen auch nicht in erster Linie zur Entwicklung von gegenseitigem Respekt, sondern viel häufiger der Machterhaltung für denjenigen, der sie festlegt und durchsetzt. Wenn die Verletzung von Anstandsregeln dann auch noch bestraft wird, kann gar ein eigentlicher Teufelskreis entstehen, was für die Erziehung natürlich höchst kontraproduktiv ist.

Es ist also entscheidend, sich zuerst im Klaren zu werden, was Anstand ist und was mit den entsprechenden Regeln genau bezweckt werden soll. Wenn das geklärt ist, können Anstandsregeln in der Erziehung durchaus Sinn machen.

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Vertrauensbildung (bis etwa 2 Jahre)

Anstandsregeln sind grundsätzlich immer einschränkend. Schon allein deshalb machen sie in der Phase der Vertrauensbildung noch keinen Sinn! Um Vertrauen zu schaffen, müssen Sie zunächst "Ja" sagen können, und zwar grundsätzlich zu allem (ausser natürlich, es besteht eine wirkliche Gefahr). Zudem würden Kinder solche Regeln auch noch gar nicht verstehen, das heisst, sie wären damit schlicht überfordert. Wohl ist es möglich, schon Kleinkindern Anstandsregeln beizubringen, doch käme das mehr einer Dressur gleich!

Anstand macht in diesem Alter übrigens auch umgekehrt keinen Sinn. Sie brauchen Ihr Kind weder zu bitten ("Würdest Du bitte noch den Mund abwischen?") noch sich für irgendetwas zu entschuldigen ("Sorry, aber Du solltest zuerst noch den Mund abwischen."). Es dient dem Verständnis und somit dem Vertrauen viel mehr, wenn Sie mit ihm Klartext sprechen ("Komm, wisch noch den Mund ab!").

Etwas anderes ist es, wenn Sie Ihre Anstandsregeln weiterhin gegenüber Erwachsenen pflegen: Das Kind beobachtet Sie nämlich sehr genau und nimmt Sie schon von Natur aus zum Vorbild. Es kann dann selbst entscheiden, ob es ein bestimmtes Verhalten übernimmt (oder Sie zum Beispiel fragen, weshalb Sie dauernd "Danke" und "Bitte" sagen).

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Willensbildung (etwa 2 bis 4 Jahre)

Richtig aktuell werden Anstandsregeln erst, wenn das Kind beginnt seinen Willen zu entwickeln. Das Kind sagt dann plötzlich "Ich will, ...!" oder reagiert lauthals mit "Nein!" auf eine Aufforderung, der es bisher ohne weiteres Folge leistete. Das ist zunächst ein Zeichen für die gesunde Entwicklung, denn das Kind hat offenbar etwas vom wichtigsten überhaupt, nämlich einen eigenen Willen! Es weiss, was es will und äussert sich entsprechend. Entscheidend ist nun aber, wie Sie darauf reagieren. Denn jetzt müssen Sie zunächst einmal wissen, ob Sie das Anliegen des Kindes als "berechtigt" betrachten oder eher als "unverschämten Wunsch". Wenn das Kind zum Beispiel beim Frühstück sagt "Ich will Milch!", ist das nichts als als vernünftig und berechtigt. Wenn es aber Orangensaft verlangt (und Sie das nicht für nötig halten, etwa weil Sie der Meinung sind, es solle besser Milch trinken), müssen Sie ebenso klar "Nein!" sagen, ihm also eine Grenze setzen. Gerade in dieser Phase hilft nur, wenn Sie sich laut und deutlich äussern - dafür nur ein Mal! So wie sich auch das Kind sehr direkt äussert, müssen Sie ihm auch direkt antworten, ansonsten es sehr schnell überfordert ist. Denn Kinder können in diesem Alter noch nicht mit Abstufungen oder gar Bedingungen umgehen: entweder es darf, oder es darf nicht.

Erst wenn Sie gelernt haben, dem Kind konsequent Grenzen zu setzen und auch mit seinen allfälligen Tobsuchtsanfällen umzugehen gelernt haben, können Sie zur nächsten Stufe gehen und mit ihm Vereinbarungen erarbeiten. Solche Vereinbarungen können dann auch Anstandsregeln betreffen. Allerdings werden Sie schnell feststellen, dass Kinder durchaus auch nach den Gründen für die Regeln nachfragen. Entweder sind dann Ihre Begründungen plausibel oder Sie sind zumindest bereit, diese mit dem Kind zu besprechen. Wenn Sie hingegen einfach sagen "Das ist halt so", verweigern Sie ihm eine echte Antwort, was für das Vertrauen nicht gerade förderlich ist.

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Sozialisation bis Pubertät (etwa 4 bis 16 Jahre)

Mit der Sozialisation erhalten Anstandsregeln endlich auch eine wirkliche Berechtigung, jedenfalls solange diese Regeln tatsächlich dem Zusammenleben dienen (und nicht einfach der Durchsetzung von irgendwelchen Machtansprüchen der Eltern oder Institutionen). So macht zum Beispiel die Regel, pünktlich in der Schule zu erscheinen, ganz offensichtlich Sinn, da sonst viele auf einen Einzigen warten müssten. Entscheidend für Anstandsregeln ist denn auch einzig, dass Sie als Eltern deren Sinn erklären können und sich dann auch für die konsequente Durchsetzung verantwortlich fühlen.

Kinder können im übrigen ohne weiteres mit unterschiedlichen Regeln umgehen, haben also keine Mühe damit, wenn es zum Beispiel bei den Grosseltern nicht erlaubt ist, auf dem Sofa herumzuturnen, zu Hause aber schon. Solche Unterschiede können ja auch Sinn machen (weil die Grosseltern im Beispiel längst kein kindertaugliches Sofa mehr haben), was schon kleinere Kinder ohne weiteres verstehen, wenn es ihnen erklärt wird. Kinder können sogar damit umgehen, dass andernorts unsinnige Regeln gelten, jedenfalls wenn die Eltern bereit sind, auf entsprechende Fragen der Kinder Antwort zu geben.

Schliesslich können Sie es Ihrem Kind überlassen, welche Anstandsregeln es in seinem Umfeld zu übernehmen bereit ist, denn es ist ihm schon von Natur aus daran gelegen, dass es sich in seinem Umfeld integrieren kann. Wenn also zum Beispiel der Fussballtrainer fordert, dass ihm zur Begrüssung beim Training die Hand gegeben wird, wird sich das Kind (beziehungsweise der Jugendliche) ohne weiters damit arrangieren können. Entscheidend ist dabei, dass Sie dem Kind die Verantwortung für allfällige Konsequenzen überlassen (also im Extremfall einen neuen Fussballklub suchen, weil es das Begrüssungsritual nicht mitmachen will).

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Respekt

Respekt bedeutet vor allem Aufmerksamkeit und Achtung. Kinder entwickeln Respekt in gleichem Masse, wie ihnen die Eltern in den ersten Jahren Respekt entgegengebracht haben. Das heisst, es geht zunächst darum, dass Sie als Eltern lernen,

Erst dann, im Idealfall also nach etwa vier Jahren, ist das Kind so reif, dass Sie von ihm Respekt erwarten können. Und erst dann können auch Anstandsregeln wirklich Sinn machen. Denn Anstand, also Manieren oder gutes Benehmen, hat nur am Rande mit den beiden Grundprinzipien der Erziehung, Vertrauen und Wille, zu tun. Anstandsregeln sind vor allem eine Frage der jeweiligen Kultur, Respekt hingegen ist universell und beinhaltet eben gerade auch die Fähigkeit, Anstandsregeln anderer Kulturen tolerieren zu können. Dass Respekt nichts mit Angst zu tun hat, sollte schliesslich selbstverständlich sein.

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Grüssen

Viele Kinder werden schon sehr früh zum Grüssen angehalten ("Hast Du Oma schon 'Hallo' gesagt?"). Dabei geht vergessen, dass das Kind ja in der Regel nicht selbst entscheiden konnte, ob es die Oma überhaupt sehen wollte. Und auch wenn die Oma vielleicht normalerweise für das Kind die Liebste und Grösste ist, ist sie es manchmal auch gerade nicht, weil etwas anderes wichtig ist. Das sollten Sie zumindest in den ersten Jahren auch respektieren (und der allenfalls beleidigten Oma erklären).

Noch heikler sind in diesem Zusammenhang eigentliche "Zwangsbeglückungen" für Begrüssungs- und Abschiedsrituale ("Onkel Max hat noch ein Küsschen zum Abschied verdient."). Wenn Kinder dazu angehalten oder gar gezwungen werden, ist das zumindest eine Grenzüberschreitung, wenn nicht gar von (emotionalem) Missbrauch gesprochen werden muss. Kinder sollten, genauso wie Erwachsene, selbst bestimmen dürfen, wann und wie viel Nähe für sie stimmt. Sie haben dafür ein sehr feines Gespür, das Sie ihnen unbedingt lassen sollten.

Sie können also das Grüssen voll und ganz der Lust des Kindes überlassen - und sich dafür überlegen, wie viele Situationen Sie selbst schon erlebt haben, in denn es Sie mehr ekelte denn erfreute, wenn Sie meinten, jemandem aus lauter Anstand zu nahe kommen zu müssen! Lassen Sie das Kind selbst über Nähe und Distanz entscheiden. Das ist im übrigen die weitaus beste Prävention gegen die Gefahr von Missbrauch!

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Dankbarkeit

Ähnliches wie für Begrüssungsrituale gilt für Dankbarkeit: Viele Kinder werden regelrecht darauf gedrillt, sofort "Danke" zu sagen, nachdem sie irgendetwas erhalten haben. Auch das funktioniert selbst bei Kleinkindern, doch geht es dabei schon eher um Dressur denn um Erziehung. Denn erstens hat das mechanische "Danke" sagen nichts mit Dankbarkeit zu tun und zweitens werden Kindern laufend Dinge geschenkt, über die sie sich nicht oder zumindest im Moment nicht freuen, sodass sie also weder dankbar sein können noch sollen.

Zudem sind Kinder ja schon von Natur aus ausgesprochen dankbare Wesen. Wenn ihnen etwas gefällt, zeigen sie ihre Freude sofort und jedem: Ist ein Kinderlächeln wirklich nicht genug? Überlassen Sie es also zumindest in den ersten Jahren dem Kind, ob und wie es sich bedankt. So lassen Sie ihm auch das Gespür dafür, was ihm wirklich gut tut und behüten es davor, etwas vorgeben zu müssen, was nicht ist. Denn ein unechtes Dankeschön ist zumindest ein Schwindel, wenn nicht gar eine Lüge!

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Bitten

Als eigentliches Zauberwort wird es von Eltern häufig gegenüber Kindern bezeichnet: "Bitte". Doch die wenigsten Eltern haben jemals hinerfragt, welches eigentlich der Sinn ist, von ihren Kindern zu verlangen, sie sollten zum Beispiel um Essen bitten: Ist Essen nicht ein Grundbedürfnis des Kindes, das ihm ohne weiteres zusteht?

Bitten ist nicht nur eine abgeschwächte Form von Wollen, sondern betont auch noch ein Machtgefälle, da es immer der Schwächere ist, der gegenüber dem Stärkeren um etwas bittet. Zumindest in den ersten Jahren macht es denn auch wenig Sinn, von Kindern zu verlangen, sie sollten um etwas bitten: Kinder haben in den ersten Jahren Grundbedürfnisse, die von den Eltern immer und bedingungslos befriedigt werden sollten und wenn sie, in der Regel ab etwa dem dritten Lebensjahr, beginnen ihren Willen zu entwickeln, brauchen sie zunächst klare Grenzen.

Erst nachdem die Eltern gelernt haben, dem Kind angemessen Grenzen zu setzen, sodass es mit seinem Willen respektvoll umgehen kann, ist es genügend reif, um sich nuancierter auszudrücken. Es kann dann auch verstehen, dass es verschiedene Abstufungen gibt zwischen seiner kompromisslosen Durchsetzungskraft und vorsichtig ausgesprochnen Wünschen. Vorher wäre es damit schlicht überfordert. Ein reifes Kind wird dann ganz von sich aus lernen, wo und in welchen Situationen ein "Bitte" angebracht ist. Denken Sie einfach daran, dass es Sie zum Vorbild nimmt und sehr genau beobachtet, mit welchen Mitteln ein Ziel am besten erreicht werden kann!

Bitten ist im übrigen in den ersten Jahren auch umgekehrt alles andere als hilfreich, das heisst, wenn Eltern ihre Kinder bitten, dies zu tun oder jenes zu lassen: Kinder brauchen in diesem Alter klare Ansagen, mit Höflichkeit und Verklausulierungen können sie nichts anfangen, damit wären sie schlicht überfordert. Gerade in der Phase der Willensbildung ist vielmehr ein laut und deutlich ausgesprochenes "Nein!" oder gar ein eigentlicher Befehl nötig. Erst wenn Sie gelernt haben, dem Kind klare Grenzen zu setzen, können Sie beginnen mit ihm differenzierter umzugehen. Das hat nichts damit zu tun, dass Sie zuvor keinen Respekt vor Ihrem Kind hätten, sondern ganz im Gegenteil: Sie wissen, was das Kind verstehen kann und was (noch) nicht, das heisst, sind sich Ihrer Verantwortung bewusst.

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Fragen

"Frag zuerst, bevor Du einfach nimmst!". Diese Aufforderung von Eltern an ihre Kinder wird oft gehört. Denn was Erwachsenen mehr oder weniger selbstverständlich ist, ist es für ein Kind noch lange nicht: Das Kind will etwas, das Etwas ist da, also wird die Sache auch gleich behändigt. Das ist für ein Kind in den ersten Jahren zunächst einmal völlig natürlich und gesund. Denn erstens hat das Kind noch kein Verständnis für Eigentum und kann zweitens ja auch gar nicht wissen, was wem gehört und unter welchen Umständen der Eigentümer zum Teilen oder gar Verschenken bereit ist.

In der Phase der Vertrauensbildung sollte das Kind zudem sowieso alles erhalten, was es verlangt, denn das Kind hat in diesem Alter ausschliesslich Grundbedürfnisse. Erst mit der Entwicklung des Willens, also ab etwa dem dritten Lebensjahr, geht sein Verlangen weiter und müssen ihm Grenzen gesetzt werden. Wenn es dann zum Beispiel die verlockende Kamera behändigen will, Ihnen diese aber zu heikel ist, müssen Sie reagieren und "Nein!" sagen. Dann kann das Verhandeln beginnen und Sie können mit dem Kind Regeln vereinbaren, wonach es zum Beispiel für alle Dinge, die in Ihrem Büro stehen, immer zuerst fragen muss (was ja schon aufgrund allfälliger Gefahren nötig sein kann).

Im übrigen nimmt das Kind Sie zum Vorbild, das heisst also, wenn Sie Ihrerseits schon von Beginn an das Kind zum Beispiel jeweils gefragt haben, ob es noch Hunger hat oder müde ist und schlafen gehen will (statt es einfach weiterzuführen oder ins Bett zu zwingen), wird es dieses Verhalten von alleine übernehmen.

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Entschuldigungen

Die Idee der Entschuldigung setzt voraus, dass es auch Schuld gibt. Der Grund für Schuld liegt aber immer in der Vergangenheit. Schon allein deshalb ist das ganze Konzept für Kinder in den ersten Jahren schlicht eine Überforderung. Zwar können Sie dem Kind antrainieren, in bestimmten Situationen "Entschuldigung" zu sagen, doch hat das mehr mit Dressur denn mit Erziehung zu tun, da das Kind noch gar nicht verstehen kann, um was es geht.

Wenn zum Beispiel die grosse Schwester dem kleinen Bruder das Spielzeug aus den Händen reisst, geht es zunächst darum, dass die Eine etwas will, der Andere nicht und in diesem Fall der Andere schwächer ist, deshalb unterliegt und demzufolge zu schreien beginnt. Oder anders ausgedrückt: Die Schwester hat eine Grenze des Bruders überschritten (möglicherweise ist die Sache aber auch so, dass der kleine Bruder das Spielzeug der Schwester ergattert hat und diese bloss ihren "Besitzanspruch" geltend macht - also zuvor schon in umgekehrter Richtung eine Grenze überschritten wurde. Und es gibt natürlich noch eine Vielzahl von Untervarianten, vielleicht auch noch dadurch verkompliziert, dass Sie gar nicht alles beobachten konnten!). Gerade in den ersten Jahren geht es aber auch viel weniger um die Feststellung, wer im Recht ist, sondern vielmehr um Versöhnung. Und Versöhnung hat weniger mit Schuld und Recht zu tun, als vielmehr um das gegenseitige Anerkennen von Schmerz und Trauer.

Trösten Sie deshalb im Beispiel zuerst einmal den Sohn (sodass sich die Situation wieder etwas beruhigt) und rufen Sie dann die Schwester zu sich. Je nach Alter wird das dem Sohn bereits genügen (da ihn alles, was zuvor war, schon gar nicht mehr interessiert). Falls nicht, lassen Sie sich von beiden Seiten die Streitigkeit aus der jeweiligen Sicht erklären, konzentrieren Sie sich dabei aber auf das, was weh getan hat oder traurig gemacht hat. Fragen Sie nach (Wie, wo, was?) und beobachten Sie die Reaktionen. Dadurch erreichen Sie, dass die beiden Streithähne erfahren, was sie einander angetan haben und vor allem, wie sich der Andere fühlt. Dieses gegenseitige Mitgefühl genügt in aller Regel bereits für die Versöhnung (und macht das mechanisch nachgeplapperte "Entschuldigung" völlig unnötig). Vielleicht müssen Sie dann noch regeln beziehungsweise regeln lassen, wer das Spielzeug wann und unter welchen Bedingungen haben darf.

Bei heftigeren Grenzüberschreitungen, wenn im Beispiel die Eine den Anderen auch noch schlägt, müssen Sie härter eingreifen: Rufen Sie "Nein!" (oder "Stopp"). Es braucht keine Handgreiflichkeiten, doch unter Umständen müssen Sie auch einmal sehr (!) laut und deutlich werden. Kinder müssen spüren, dass Sie mit ihrem Verhalten nicht einverstanden sind, halbherzig nachgeplapperte "Entschuldigungen" helfen da wenig.

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Tischmanieren

Tischmanieren sind geradezu das Paradebeispiel für Sinn und Unsinn von Anstandsregeln. Die Vielfältigkeit von Regeln im Zusammenhang mit Essen ist zudem schier grenzenlos. Und schaut man ein wenig über den Grenzzaun, wird man auch Tischsitten entdecken, die einem geradezu skurril vorkommen mögen. Während sich die einen darauf kaprizieren, aus Tischmanieren einen eigentlichen Kult zu kreieren, verzichten andere bewusst und gänzlich auf Einschränkungen jeglicher Art. Beiden Extrempositionen ist in der Regel aber eigen, dass der Genuss am Essen im Vordergrund stehen sollte. Offenbar geht es um einen vergleichbaren Gegensatz wie bei der Kultur und der Natur: Während der Eine die Kompositionen des Künstlers im Museum geniesst, verlustiert sich der Andere an dem, was die Natur geschaffen hat.

Für die Erziehung von Kindern sollte einzig entscheidend sein, dass es bei Tischmanieren in erster Linie um Regeln geht. Und Regeln sind vor allem in der Phase der Willensbildung, also ab etwas dem dritten Lebensjahr, ein hervorragendes Werkzeug, um den noch rohen Willen des Kindes gewissermassen zu kultivieren.

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Toleranz

Da Anstandsregeln nicht etwa von Natur aus gegeben sind, unterliegen sie sehr stark den kulturellen, sozialen und auch religiösen Gegebenheiten der Familie und deren Umgebung. Kinder werden deshalb heutzutage auf sehr unterschiedliche "Sitten und Gebräuche" stossen. Interessanterweise ist das für Kinder sehr viel einfacher als für Erwachsene. Von dieser Toleranz könnten also manche Eltern durchaus von ihren Kindern etwas lernen.

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Sinn und Unsinn von Anstandsregeln

Anstandsregeln sind also nicht etwa naturgegeben und deshalb dem Kind auch nicht in irgendeiner Weise angeboren. Häufig sind sie auch nicht gerade besonders sinnvoll, sondern werden viel mehr nach dem Motto „Das macht man halt so“ eingehalten und weitergegeben. Was ist etwa der Grund, dass man am Esstisch kein Messer ablecken soll? Bereits kleine Kinder können das nämlich ohne jegliche Gefahr, sich in die Zunge zu schneiden (während die Gefahr, sich mit einer Gabel in die Zunge zu stechen, ungleich grösser ist!). Trotzdem können Kinder solche Regeln dem Alter entsprechend durchaus erlernen. Und Kinder werden zudem sehr schnell erkennen, dass zum Beispiel bei der Patin andere Regeln gelten als zu Hause. Und während man sich in England anstandshalber dafür entschuldigt, seine Umgebung mit Niesen erschreckt zu haben, erwarten wir auf dem Kontinent, dass uns „Gesundheit“ gewünscht wird, obwohl Niesen in der aller Regel rein gar nichts mit einer drohenden Krankheit zu tun hat.

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Anstandsregeln sind auch Regeln

Anstandsregeln mögen zwar häufig wenig sinnvoll sein. Doch geht es immerhin um Regeln, sodass sie schon als solche zumindest einen minimalen Sinn ergeben. Denn sinnlose Anstandsregeln sind immer noch besser als gar keine Regeln. Viel hilfreicher wäre natürlich, Sie würden Regeln aufstellen, beziehungsweise mit dem Kind zusammen festlegen, die Sinn machen, sodass sie auch vom Kind als nützlich für das Zusammenleben verstanden werden.

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Weiterführende Themen

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Übergeordnetes Thema

Willensbildung (zweite Phase der Erziehung)

Fragen und Feedback

Das "Zweimalzwei der Erziehung" ist zum Teil noch im Aufbau. Allfällige Fragen oder Feedback sind willkommen: Email

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